Garnet Manecke, zusammen mit Vera Anders Autorin von 111 Orte in Mönchengladbach, die man gesehen haben muss, erzählt, wie es zu den Geschichten im Buch gekommen ist, wie es war, bei 30 Grad eine schwere Kameraausrüstung zu schleppen und wie sie die Grenze zwischen Gladbach und Rheydt erkundet hat.
Liebe Garnet, um 111 „Must see“-Orte in einer Stadt zu entdecken, die gemeinhin nicht als touristischer Hotspot bekannt sind, muss man schon findig sein. Wie hast du die Auswahl begonnen?
Wir, also meine Mit-Autorin Vera Anders und ich, haben überlegt, welche Orte interessant für die LeserInnen wären. Die Buch-Reihe „111 Orte“ aus dem Emons-Verlag wendet sich ja eigentlich an Einheimische, aber weil es für Mönchengladbach keinen expliziten Reiseführer gibt, haben wir den Kreis erweitert. Somit ist das Buch auch für die Neu-GladbacherInnen und für diejenigen, die von hier wegziehen oder schon lange woanders leben und ein Stück Heimat mitnehmen möchten.
War es schwierig, Orte zu finden?
Nein, es war eher schwer, auszuwählen. Auch abseits bekannter Orte wie Schloss Wickrath oder Borussia-Park gibt es in Mönchengladbach einfach sehr viele Ecken, die man kaum beachtet, weil man jeden Tag an ihnen vorbei geht.
Wenn man hinguckt, entdeckt man, dass Gladbach voller Geschichte(n) steckt.
Garnet Manecke, Autorin von „111 Orte in Mönchengladbach, die man gesehen haben muss“
Und jede Geschichte bringt eine Freundin mit, die auch erzählt werden will. Mir ist fast bei jedem Weg durch die Stadt etwas Besonderes aufgefallen und ich habe auf meine Liste einen neuen Ort gesetzt. Am Ende hatte ich auf meiner Liste weit über 111 Orte – zusätzlich zu den 37, die Vera beschrieben hat.
Hast du noch weitere Orte in petto, oder sind die Sehenswürdigkeiten mit den 111 Orten erschöpfend dargestellt?
Da wir zu jedem Ort auch noch einen Tipp gegeben haben, stellen wir in diesem Buch ohnehin schon fast 222 Orte vor. Ich habe aber noch mindestens 30 Orte auf meiner Liste, die keinen Eingang mehr gefunden haben. Zum Beispiel Lokale, in denen Diamanten-Eddi in der Waldhausenerstraße Stammgast war – ein Gentleman-Gauner, über den seine Urenkelin ein Buch geschrieben hat. Oder das Haus, in dem sich die Praxis des Erfinders der Kontaktlinse, August Müller, auf der Hohenzollernstraße 142, befand.
Gibt es Orte hinter den Orten, die ihr erst bei der Recherche entdeckt habt?
Ursprünglich sollte der Schriftzug „Exit“ von Joseph Beuys im Holzportal am Münster ins Buch. Nach einem Gespräch mit Uwe Riedel, dem Museumspädagogen vom Museum Abteiberg, wurde dann der Wasserspeier von Thomas Virnich daraus (Ort Nr. 66 „Die lächelnde Schlange“). Der wird fast gar nicht beachtet, dabei ist Virnich ein renommierter Künstler, der auch noch in Mönchengladbach lebt.
Einen weiteren spannenden Ort habe ich bei meiner Foto-Tour neben dem Treppenhausturm des Elisabeth-Krankenhauses (Ort Nr. 102 „Das Treppenhaus des Eli“) entdeckt. In einer mit Bäumen bewachsenen Anhöhe gibt es eine Hobbit-Höhle, zumindest sieht sie so aus. Wofür sie mal genutzt wurde, kann ich nicht sagen. Aber es würde sich sicher lohnen, das mal zu recherchieren.
Noch ein schöner Ort ist die Kunsthaltestelle von Uwe Schloen auf dem NEW-Gelände vor der Kfz-Zulassungsstelle an der Rheinstraße. Sie ist Teil eines größeren Kunstprojektes, einer imaginären Buslinie.
Bis auf 4 Ausnahmen stammen alle 111 Fotos im Buch von dir. Wie hat sich die Suche fotografisch gestaltet?
Bei Suche und Auswahl der Orte haben die Fotos erst mal keine Rolle gespielt, es ging allein um die Geschichte der Orte. Viele Orte habe ich aber mehrmals besucht, um das richtige Bild zu machen. Bei manchen hatte ich sofort ein Bild im Kopf, wie beim Theater. Bei anderen Orten habe ich rumprobiert und zu verschiedenen Tages- oder Jahreszeiten fotografiert. Den geografischen Mittelpunkt der Stadt (Ort Nr. 62 „Der Mittelpunkt“) habe ich mehrmals aufgesucht, bis ich schließlich wunschgemäß Wolken auf dem Bild hatte. Der Mönchengladbacher Fotograf Andreas Baum hat mir sehr geholfen und viele wertvolle Tipps gegeben, wenn ich eine Idee, aber bei der Umsetzung Schwierigkeiten hatte. Er hat übrigens auch mein Autorenfoto im Buch gemacht.
Was war die größte Herausforderung bei der Bilderjagd?
Schwierig war es manchmal, mit der ganzen Foto-Ausrüstung durch die Gegend zu gehen. Bei über 30 Grad im Schatten mit Kamera, Stativ, Block und Wasserflasche unterwegs zu sein, war nicht ohne – da wünscht man sich schon mal einen oder zwei Arme mehr.
Einige der Bilder sehen so aus, als hättest Du dafür Privatgelände betreten. War es problematisch dafür eine Erlaubnis zu bekommen?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja nicht einfach auf die Grundstücke marschiert und habe fotografiert, sondern habe mich im Vorfeld angemeldet und erklärt, was wir machen und warum wir den Ort in das Buch aufnehmen wollen. Bis auf ein Unternehmen, das mir über eine PR-Agentur eine Absage gegeben hat, haben sich alle darüber gefreut, ins Buch aufgenommen zu werden und mir die Türen geöffnet.
Gibt es einen Ort, den man nicht verpassen sollte?
Es gibt viele interessante Orte, aber einen Ort, den ich richtig toll finde, ist der Maarplatz in Geneicken, der früher Kaiserplatz hieß (Ort Nr. 59 „Der Maarplatz“). Den haben die AnwohnerInnen zu einem Treffpunkt für die Nachbarschaft gemacht – mit Boulebahn, Bücherschrank und Bänken. Alles selbst entworfen und teils auch selbst gebaut.
Dieser Platz hat Charme, weil er von alten Fachwerkhäusern umgeben ist. Und die Besucher werden von Kaiser Wilhelm I. beobachtet – oder zumindest von seiner Büste, die mit einer Unterbrechung seit 1893 dort steht. Im ersten Weltkrieg wollte man die Bronze-Statue einschmelzen. Das haben die Leute verhindert, indem sie die Statue versteckt haben.
Woher kommt deine Affinität zu Mönchengladbach?
Ich bin keine gebürtige Gladbacherin, aber habe einen Teil meiner Kindheit hier verbracht. In der Goethestraße bin in den Kindergarten gegangen und in der Regentenschule eingeschult worden. Mein Klassenzimmer war damals in dem roten Schulgebäude, das heute noch steht, rechts im Erdgeschoss. Als ich in der dritten Klasse war, sind meine Eltern mit meinen Geschwistern und mir nach Erkelenz gezogen. 2004 bin ich dann nach Rheydt gezogen.
Trotz mehrerer Umzüge habe ich es immer so gehalten, dass die Stadt, in der ich wohne, auch meine Stadt ist. Das heißt, dass ich mich für die Stadt interessiere, zu dem Fußballverein halte und den Leuten, die mich besuchen, die Stadt zeige.
In Köln bekommt man schon mal den Eindruck, die Kölner könnten kaum laufen vor Stolz auf ihre Stadt. Auch in Düsseldorf findet man sich und seine Stadt ziemlich gut. Wie stehen die Mönchengladbacher zu ihrer Stadt?
Mir scheint, dass die Gladbacher ihre Stadt schon sehr lieben, sie aber chronisch unterschätzen. Dabei ist Gladbach weit mehr als Fußball. Hier gibt es Menschen mit guten Ideen, die ihre Stadt aktiv gestalten. Allerdings passiert das oft im Verborgenen.
Wenn angesehene Wissenschaftler ins Archäologische Museum im Wasserturm in Rheindahlen kommen, um sich dort die Exponate anzusehen und über die Funde zu diskutieren, dann interessiert das eben nur eine kleine Gruppe. Das Museum Abteiberg (Ort Nr. 67 „Das Museum Abteiberg“) ist in der Kunst eine internationale Größe, das Theater (Ort Nr. 100 „Das Theater“) hat einen sehr guten Ruf und ein hohes Niveau. Es gibt wirklich sehr viel, was diese Stadt liebens- und lobenswert macht.
Gibt es für dich eine typische Gladbacher Eigenschaft?
Was die Gladbacher auszeichnet, ist ihre große Offenheit und ihre Hilfsbereitschaft. Das erlebe ich als Journalistin oft, wenn ich über Menschen in Schwierigkeiten berichte. Immer, wirklich immer, folgt darauf eine Hilfswelle.
Hat dir die Gladbacher Hilfsbereitschaft auch bei deinen Recherchen geholfen?
Es war eine positive Überraschung, wie bereitwillig mir die Mönchengladbacher ihre Türen geöffnet und mir Orte gezeigt haben. Etwa bei der Suche nach dem genauen Verlauf der früheren Stadtgrenze zwischen Rheydt und Mönchengladbach (Ort Nr. 22 „Die ehemalige Stadtgrenze“).
Als ich bei meinen Recherchen nicht weiterkam, fragte ich in der Facebookgruppe „Du bist Mönchengladbacher, wenn…“ nach. Dort bekam ich viele Hinweise und eine Karte von 1963. Damit habe ich die Grenze auf einem aktuellen Stadtplan nachgezeichnet und bin dann einen Teil abgelaufen.
Die Grenze verlief nicht genau an den Straßen entlang, sondern querte zum Beispiel die Webschulstraße. Um herauszufinden, wo das genau war, habe ich an den Haustüren geklingelt. Die Anwohnerinnen haben sich ausnahmslos mit mir unterhalten, eine Frau ist mit mir sogar spontan zu dem Punkt gegangen, wo einst das Ortsschild stand.
Wer hat dich sonst noch unterstützt?
Wie schon gesagt, Andreas Baum mit den Fotos, Uwe Riedel, Museumspädagoge von Museum Abteiberg, der mich auf denWasserspeier am Münster hingewiesen hat (Ort Nr. 66 „Die lächelnde Schlange), der ehemalige Archivdirektor Dr. Wolfgang Löhr, der mir wichtige Infos zum Brunnenhof am Rathaus Abtei gegeben hat (Ort Nr. 17 „Der Brunnenhof“) oder Ilona Gerhards vom Stadtarchiv, die mir Anzeigen der ersten Geschäfte im Lichthof zur Verfügung gestellt hat (Ort Nr. 58 „Die Lichthof-Werbung“). Es gibt wirklich viele Menschen, die uns bei dem Projekt auf unterschiedliche Weise unterstützt haben.
Warum ist die Hilfsbereitschaft in Mönchengladbach so ausgeprägt?
Vielleicht liegt das an einer Eigenart der Stadt: Mönchengladbach ist keine gewachsene Stadt, sondern durch den Zusammenschluss mehrerer Dörfer entstanden. Gladbach ist die einzige Stadt, die ich kenne, bei der man an Feldern vorbeifährt, um in einen anderen Stadtteil zu kommen. Vielleicht zeigt sich hier teilweise noch die dörfliche Hilfsbereitschaft: Man kennt seine Nachbarn und man steht zusammen.
Die Stadt hat ja einige Herausforderungen vor der Brust: hohe Arbeitslosigkeit, Kinderarmut, einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum und abgenutzte Infrastruktur… Wird sie es deiner Meinung nach schaffen, diese Probleme zu lösen?
Ja, wenn die Menschen hier sich auf ihre Stärken besinnen: Alle mitzunehmen und keine Gräben entstehen zu lassen. An vielen Orten gestalten die Bewohner ihre Stadtteile aktiv mit. In der Zukunft werden hier neue Stadtteile entstehen, in denen eine gute soziale Mischung entstehen sollte. Es wäre fatal, wenn das Gefühl entsteht, hier entstünden tolle Stadtteile für Düsseldorfer, die hier günstig wohnen möchten, aber die, die hier wohnen, bleiben zurück.
Hat MG etwas, von dem sich andere Städte was abgucken können?
Ich denke schon. Bei der Leser-Show von Marco Jonas Jahn im November war ein Poetry-Slammer aus Viersen zu Gast, der in einer Ode an Viersen den Satz schrieb: „Viersen, du wünschst dir heimlich, Mönchengladbach zu sein.“
Wenn du ein Souvenir aus Mönchengladbach mitbringen willst, was nimmst du mit – außer deinem Buch natürlich?
Es gibt hier viele kleine Manufakturen und Brauereien, in denen Kulinarisches und Praktisches noch von Hand hergestellt wird. Eigentlich verschenke ich seit Jahren nur noch Sachen „made in Mönchengladbach“:
- Besonders gerne verschenke ich die Grubentücher, die auf den historischen Webmaschinen im Textil-Technikum im Monforts-Quartier gewebt wurden.
- Oder Kaffee, der in der Rösterei Arista in der Albertusstraße geröstet wurde.
- Dort gibt es auch Marmeladen, Chutneys und Essige von Passione von Brigitte Bengner, einer kleinen Mönchengladbacher Manufaktur.
- Babykleidung (Eva Brachten),
- Bier (Hensen Brauerei und Bolten),
- Taschen, Pralinen
- Brot (Orte Nr. 19 „Das Café Ö“ oder
- Nr. 25 „Die Feinbäckerei Esser“).
Gladbach muss sich wirklich nicht verstecken. Es lohnt sich, die Stadt zu entdecken!
Liebe Garnet, vielen Dank für das Gespräch!
111 Orte in Mönchengladbach, die man gesehen haben muss, von Garnet Manecke und Vera Anders
240 Seiten, ISBN 978-3-7408-0606-4, Oktober 2019 Euro 16,95 [D] , 17,50 [AT] https://www.emons-verlag.com/programm/111-orte-in-moenchengladbach-die-man-gesehen-haben-muss
Autorin und Fotografin des Buchs
Garnet Manecke: https://www.garnet-manecke.de/
Autorin
Vera Anders: www.textekonzepte.de
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