Margot Müller *1952, kennen viele als engagierte Feministin und Bundessprecherin der Feministischen Partei DIE FRAUEN. Was nur wenige wissen: Müller ist auch Inhaberin eines Schwarzen Gürtels im Judo, war Referentin für Frauenselbstverteidigung beim Landessportbund Hessen und an der Uni Mannheim. Ihr sportliches Herz schlägt für Wendo, eine einzigartige auf Frauenpsyche und -körper zugeschnittene Art der Selbstverteidigung. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der in Kanada entwickelten Selbstverteidigungskunst: Männer sind nicht unbesiegbar. Für meinen Blog hat sie mir ihren Essay „Warum Wendo?“ zur Verfügung gestellt, den ich hier mit ihrer freundlichen Genehmigung veröffentliche.
Mehr zu Margot Müllers politischer Mission auf der Seite der feministischen Partei DIE FRAUEN.
Warum Wendo? Essay von Margot Müller
Nach wie vor ist physische und psychische Gewalt von Männern gegen das weibliche Geschlecht eine der wichtigsten und effektivsten Stützen des Patriarchats. Diese Gewalt umfasst ein breites Spektrum und geht vom Psychoterror bis zum Mord (vgl. Ehrhardt 1994; Benard/Schlaffer 1978, 1980).
Sie äußert sich als sexuelle Belästigung (vgl. Benard/Schlaffer 1980), Stalking, als sexueller Missbrauch (vgl. Steinhage 1989), Vergewaltigung (vgl. Butzmühlen 1978) und Femizid (vgl. Filter 1994, S. 73-80). Sie begleitet uns vom Kindesalter bis zum Tod. Wir begegnen ihr in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie ist eine ständige Bedrohung für alle Frauen wie Mädchen und schränkt ihre Bewegungsfreiheit und den Handlungsspielraum ein. Wenn Frauen und Mädchen diese Einschränkungen nicht länger hinnehmen wollen, ist es sinnvoll, wenn sie Fertigkeiten erwerben, durch die sie sich schützen und die ihnen im Kampf gegen diese Gewalt helfen können. In den asiatischen Kampfsportarten oder Kampfkünsten werden solche Fertigkeiten vermittelt.
Nicht cool? Warum weniger Mädchen als Bübchen Selbstverteidigung lernen
Obwohl es in der Bundesrepublik Deutschland ein breites und fast flächendeckendes Angebot von Sportvereinen und –schulen gibt, welche die verschiedensten Kampfsportarten und Kampfkünste zur Selbstverteidigung anbieten, trainieren dort deutlich weniger Frauen und Mädchen als Männer beziehungsweise Bübchen. Nach der Bestandserhebung des Deutschen Sportbundes 1994 sind weniger als ein Drittel aller Mitglieder von Kampfsportverbänden Mädchen oder Frauen (vgl. Deutscher Sportbund 1994, S. 7). Das ist verwunderlich, da Frauen und Mädchen durch die ihnen in (unserer) patriarchalen Gesellschaft ständig drohende Männergewalt viel größeren Einschränkungen unterliegen als die Männer, die in der selben Gesellschaft leben.
Warum halten sich Mädchen und Frauen hinsichtlich der Kampfsportarten zurück? Können wir etwas dagegen tun? Gibt es Alternativen zum traditionellen Kampfsport, die für Mädchen und Frauen besser geeignet sind?
Eine Frau im Kampfsport weicht ab von der typischen Frauenrolle. Immer noch
Zwei Faktoren, die sich wechselseitig bedingen, sind verantwortlich dafür, dass verhältnismäßig wenige Mädchen und Frauen Selbstverteidigung erlernen: zum einen die Sozialisation von Frauen wie Mädchen, deren Erziehung zur Passivität und Hilflosigkeit gemäß der traditionellen weiblichen Rolle 1, zum anderen die Frauenfeindlichkeit und –verachtung in jenen traditionellen Zusammenhängen, in denen Selbstverteidigung unterrichtet wird (vgl. Müller 1987).
Kampfsport oder eine Kampfkunst zu betreiben bedeutet für Frauen und Mädchen nicht einfach eine Abweichung von der traditionellen Frauenrolle, die darauf ausgerichtet ist Frauen und Mädchen fügsam, ängstlich und hilflos zu machen. Das Erlernen effektiver Gegenwehr steht vielmehr in diametralem Gegensatz zu dieser Rolle; ist ihre Negation:
„Wilde Mädchen hingegen sind böse Mädchen. Ihnen wird unterstellt, ihre Mütter ärgern zu wollen. Mädchen sollen lernen zu spielen, um zu spielen – nicht um zu gewinnen. Höflich und stets freundlich sollen sie sein. Sie werden auf Harmonie getrimmt und zu Friedensstifterinnen erzogen.“
Ehrhardt, Ute: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin, Frankfurt a.M. 1994, S. 200
Dementsprechend meiden viele Frauen und Mädchen aggressive Aktivitäten, da sie im Gegensatz sowohl zu ihren eigenen Erwartungen als auch denen ihrer Umwelt stehen. Schon die bloße Suggestion, eine Betätigung mache „unweiblich“, reicht bei vielen aus, um diese Tätigkeit als nicht erstrebenswert zu betrachten (vgl. Adner/Mänz 1986, S. 197).
„Doch in vielen sozialen Situationen folgen Frauen der gesellschaftlichen Rollenvorgabe, höflich und versöhnlich zu agieren. Werden die Situationen kritisch oder unangenehm, dann sind sie damit beschäftigt, die Fassung zu bewahren. Auf den Gedanken, sich zu wehren, eine Attacke mit gleicher Münze heimzuzahlen, kommen sie nicht. Neben der Angst, die vielen Frauen keine andere Reaktion als den lächelnden Rückzug lässt, schwingt für viele die Drohung mit, unweiblich und unattraktiv zu werden, wenn sie sich aggressiv und konsequent wehren. Sie verhindern damit, dass ihre natürlichen kämpferischen Impulse zum Vorschein kommen. Sie machen sich hilflos. Aggressive Impulse werden systematisch unterdrückt. (Viele Frauen behaupten sogar, solche Impulse nicht zu besitzen.).“ (Ehrhardt 1994, S. 200)
Treib‘ Kampfsport, aber wehe, du wirst unweiblich!
Es wird deswegen im Lager eher konservativer Befürworter des Kampfsports häufig betont, dass Frauen Kampfsport betreiben könnten ohne dabei „unweiblich“ zu werden. Diese halbherzige Aussage ist aber keine Aufforderung zu mehr Selbstverwirklichung, sondern sie ist ein Gebot. Damit ist nicht gemeint: Wir werden euch auch dann als „weiblich“ ansehen, wenn ihr Kampfsport betreibt, sondern: Nur dann, wenn ihr sonst nicht aus der Rolle fallt, dürft ihr – in einem beschränkten, von uns vorgegebenen Rahmen – kämpfen. Von einem „richtigen“ Mann hingegen wird traditionellerweise nicht nur erwartet, dass er kämpft und ein Held ist – es wird vielmehr gesellschaftlich gefordert. Beweis dafür sind die zahllosen Western- und Krimihelden, die stellvertretend für die noch zahlreicheren „Couchpotatoes“ der Pflichterfüllung der (Männer-) Rolle nachgehen.
Aus allen diesen Gründen sind in den herkömmlichen Kampfsportarten oder Kampfkünsten nicht nur mehr männliche als weibliche BetreiberInnen zu finden. Sie sind darüber hinaus eine Männerdomäne, in der es viele Männer gibt, die meinen, sich und anderen ihre „Männlichkeit“ unter Beweis stellen zu müssen. Aber die traditionellen Kampfsportarten sind nicht nur deswegen ein Männerbereich, weil dort die Männer, und unter diesen primär die traditionellen, in der Überzahl sind. Es gibt zusätzlich einen immanenten qualitativen Faktor, der den Anteil der Männer hoch und den der Frauen niedrig hält: Alle diese Kampfsportarten oder Kampfkünste sind von Männern für Männer entwickelt worden2. Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen ist der Mann die Norm, die stillschweigend vorausgesetzt wird, die Frau der Sonderfall (vgl. Minnich 1994).
„Wir bewegen uns bei unseren Ermittlungen vorwiegend auf Neuland. Denn die traditionelle Sozialwissenschaft untersucht zwar pausenlos Männer, und vorwiegend Männer, aber nicht a l s Männer, sondern als: Staatsbürger, Arbeitnehmer, Umweltschützer. Dass in all diesen Bevölkerungskategorien zwei Geschlechter vertreten sind, blieb ihnen dabei unbekannt. Sie untersuchten Frauen niemals als Staatsbürger, Arbeitnehmer, Umweltschützer. Sondern immer als Frauen. >Das Wahlverhalten von Frauen<, >Berufsaussichten von Frauen<, >Frauen in der Alternativbewegung< . Denn der normale Mensch ist männlich, der Spezialfall weiblich.“ (Benard/Schlaffer 1980, S. 10)
Diese Herangehensweise beschreibt Michael Klein auch für den Sport als typisch:
„Das Thema Sport und Geschlecht wird in der Regel vom Verhältnis der Frau zum Sport und der Situation der Frau im sozialen System des Sports her problematisiert. Dabei wird das Verhältnis des Mannes zum Sport stillschweigend als „normal“ vorausgesetzt und das der Frau lediglich in Bezug auf diese männliche „Normalität“ beurteilt und bewertet, ohne dass das „männliche“ Sporttreiben kritisch beurteilt oder aber gefragt wird, ob „Männer“ überhaupt eine übermäßig relevante Vergleichsgruppe für „Frauen“ darstellen können.“ (Klein 1983, S. 7)
Die männliche Norm gilt als der weiblichen Norm überlegen
Die feministische Sozialwissenschaft arbeitete heraus, dass es in der Gesellschaft und somit auch im Sport eine spezifische Norm gibt. Männliche Werte sind zentral in patriarchalen Gesellschaften wie in Japan, China, Deutschland oder anderswo. Es ist die Norm der „männlichen Überlegenheit“. Sie besagt, dass alles, was in patriarchalen Gesellschaften als männlich angesehen wird, dem, was als weiblich gilt, per se überlegen sei (vgl. Minnich 1994, S. 76 ff., S. 96 ff.). Eine solche Normierung besteht auch in den Kampfsportarten wie Kampfkünsten und hat dort wie überall weitreichende diskriminierende Konsequenzen, die sich auf die gesamten Lehrinhalte und zwar sowohl auf deren Auswahl als auch auf deren Bewertung auswirken.
Die Übungen sind auf den männlichen Körper und auf die in der männlichen Sozialisation erworbenen Kenntnisse ausgerichtet. So sind z.B. die Übungen, die Anfängern den Einstieg erleichtern sollen, Übungen, die Männern leichtfallen. Frauen bekommen sie z.T. gänzlich erlassen, bzw. es wird ihnen nahegelegt, von bestimmten Übungen nicht so viele zu absolvieren, um ihrem Aussehen keinen Schaden zuzufügen. Die Anzahl der Übungen wird für Frauen reduziert. Der Unterrichtsaufbau sowie wertende Kommentare des Lehrers oder der Mitschüler reproduzieren die herrschende Norm und vermitteln damit den Frauen, sie seien unfähig. Hält dagegen der Trainer „Emanzipation“ für wichtig, so bedeutet dies zumeist, dass an Frauen und Mädchen dieselben Anforderungen gestellt werden wie an Männer.
Das heißt, es wird von ihnen erwartet, dass sie sich den herrschenden Normen anpassen, die von Männern für Männer entwickelt wurden. Es gilt: Was Männer gut können, ist wichtig und erstrebenswert. Was sie nicht können, ist auch nicht relevant.
Die Auswahl der Techniken wird davon bestimmt, in welche Verteidigungssituationen Männer kommen und welche Techniken für sie dann am günstigsten bzw. einfachsten anzuwenden sind.
Frauen müssen sich das für sie relevante Wissen mühsam aus dem Angebot heraussuchen und für ihre Zwecke verändern.
Verteidigungssituationen, in die Frauen kommen, sind in der Regel kein Thema. Werden sie dennoch vereinzelt thematisiert, dann häufig in einem anzüglichen Tonfall. Männer machen oft mit roher Körperkraft und –masse wett, was ihnen an Technik fehlt. Die Techniken, die aufgrund ihrer Komplexität einen Mangel an Körpermasse ausgleichen, aber für Männer schwerer zu erlernen und auszuführen sind, werden von ihnen oft als „unrealistisch“ abgetan und nur selten geübt. Dass Frauen das Erlernen dieser Techniken oft hilft und auch leichter fällt, ist dagegen kein Thema.
Auch die Vermittlung der inhaltlichen Hintergründe 3, so diese denn stattfindet, ist eher dazu angetan, männliche Defizite zu bearbeiten als weibliche. So wird durch entsprechende Texte (vgl. Taisen 1978; Dürckheim 1984) immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kämpfer nicht in das Übel der Selbstüberschätzung verfallen darf und von Gefühlen frei sein muss, will er im Kampf nicht unterliegen. Beides sind meines Erachtens Übel, unter denen Männer leiden, die sich im Jähzorn leicht zu unbedachten Kampfhandlungen verleiten lassen und unvorsichtig werden, da sie sich gerne für unbesiegbar halten. Frauen dagegen leiden eher unter mangelndem Selbstvertrauen und haben Schwierigkeiten, Zugang zu ihrer Wut zu finden. Außerdem sind sie oft übervorsichtig (vgl. Ehrhardt 1994). Weiterhin wird von ihnen Bescheidenheit und Konfliktvermeidung gefordert. Die Schwierigkeiten, die Frauen mit dem Kampfsport haben, werden in dieser Literatur nicht thematisiert, geschweige denn aufgearbeitet. Es besteht die Gefahr, dass sie durch diese Lektüre noch verstärkt werden. 4
Zusammenfassend lässt sich sagen:
„Frauen erhalten nicht die gleiche Schulung, wenn sie nach Lehrplänen unterrichtet werden, die Frauen ausschließen oder herabsetzen, auch wenn sie mit denen der Männer identisch sind.“ (Minnich 1994, S. 140)
Für Frauen und Mädchen stellt die Teilnahme an einem derartigen System ein ständiges Dilemma dar. Es wird von ihnen einerseits verlangt, die „männliche Überlegenheit“ anzustreben:
„Wenn der Bildungsbereich lediglich männliche Normen enthält, ist es unvermeidlich, dass Frauen, die daran teilhaben, in eine männliche Schablone gepresst werden“ (Jane Roland Martin, zitiert nach Minnich 1994, S. 140).
Andererseits wird von ihnen verlangt, dass sie diese „Überlegenheit“ gleichzeitig als gegeben akzeptieren. Sie erlernen folglich die schwierigsten Techniken, die nichts mit ihnen und ihren Lebenszusammenhängen zu tun haben.
Frauen wird klassischerweise vermittelt, einem Mann keinesfalls gewachsen zu sein
Sowohl durch das oben genannte Normensystem selbst als auch durch die rein physischen Anstrengungen aller ihrer männlichen Sportkameraden, die sich – um den Preis ihrer „Männlichkeit“ – verpflichtet fühlen, dieses Normensystem aktiv zu reproduzieren und um jeden Preis Frauen physisch überlegen zu sein, wird ihnen permanent der Eindruck vermittelt, einem Mann keinesfalls gewachsen zu sein.
… dabei sind Frauen bei der Ausdauerleistung überlegen
Denn jeder Mann, der mit einer Frau kämpft, setzt seine ganze Kraft daran diese Frau zu besiegen, ihr überlegen zu sein. Da die männliche Konstitution bei Ausdauerleistungen der weiblichen unterlegen ist, nimmt er für seine Überlegenheit gegenüber der Frau mit der er kämpft lieber in Kauf, dass er bei den folgenden Kämpfen gegen seine Geschlechtsgenossen jeden weiteren Kampf verliert, weil er entkräftet ist. Wenn in einer Trainingsgruppe 18 Männer und zwei Frauen sind, die in wechselten Paarungen miteinander kämpfen, erhalten die beiden Frauen natürlich den Eindruck, sie seien allen Männern unterlegen.
Sie sind Fremde in diesem System, sie kommen konzeptionell nicht darin vor. Sie sind weitgehend eine unbekannte Minderheit, die behandelt wird wie ungebetene Gäste. Und so benehmen sie sich auch bisher: still und bescheiden, glücklich und dankbar, dabei sein zu dürfen, immer bestrebt, einen guten Eindruck zu hinterlassen und so wenig wie möglich Ungelegenheiten zu bereiten. Auch als Frauen werden sie noch unwidersprochen mit dem Terminus „Mädchen“ bezeichnet (vgl. Roggenkamp 1987).
Die Männer verhalten sich ihnen gegenüber bestenfalls wie große Brüder, die man dazu verdonnert hat, auf ihre kleinen Schwestern aufzupassen und mit ihnen zu spielen: ein wenig unwillig, ein wenig verlegen, aber dafür umso gönnerhafter. Frauen und Mädchen sind in diesen Zusammenhängen eine unterprivilegierte Minderheit – und als solche durchaus erwünscht. Da sie konzeptionell weder qualitativ noch quantitativ berücksichtigt werden, müssen sie um die Gunst der Bübchen bzw. Männer buhlen, wollen sie akzeptiert und gefördert werden.
Männer und Bübchen, Schüler und Lehrer sanktionieren durch Entziehen oder Gewähren von Zuwendung weibliches Verhalten entsprechend ihrer Erwartungen.
Dadurch wird eine als freiwillig erscheinende Anpassung der Frauen und Mädchen an männliche Erwartungen erzeugt, die in der Hoffnung auf Anerkennung als vorauseilender Gehorsam ständig erbracht wird. Frauen und Mädchen, die sich nicht der auf diese Art hergestellten Norm unterwerfen, werden benachteiligt und ausgegrenzt. Diejenigen, die erfolgreich um Zuwendung gebuhlt haben, fühlen sich abhängig und schuldig, vor allem dann, wenn die Zuwendung das von ihnen gewünschte Maß überschreitet. Das alles macht Frauen wie Mädchen zu leichten und verschwiegenen Opfern sexueller Ausbeutung.
Auch eine Selbstbestätigung durch Erringen von Ämtern und Qualifikationen ist ihnen weitgehend verwehrt. Wer gewählt wird, wer als qualifiziert gilt, das entscheiden Männer – und sie entscheiden es nach ihren Prinzipien, zu ihrem Vorteil. So haben Frauen in Vereinen und Verbänden in der Regel, wenn überhaupt, jene Ämter inne, bei denen ein Maximum an Arbeit einem Minimum an Anerkennung gegenübersteht: Kassenwartin und Schriftführerin. Erreichen sie die Qualifikation zum Lehramt, so unterrichten sie meist Kinder oder Jugendliche 5 – eine kraftraubende und weniger angesehene Arbeit als der Unterricht von Erwachsenen, die zudem der traditionellen Frauenrolle entspricht.
Die Anwesenheit einer Frau bewahrt Männer vor dem Abrutschen auf den letzten Platz
Diese sozialen Strukturen sind problematisch für Frauen und Mädchen: suchen sie Anerkennung, werden sie ausgenutzt. Grenzen sie sich selbstbewusst ab, werden sie isoliert. Für Männer sind sie eine Bereicherung, von der diese in vielfältiger Weise profitieren. Männer erhalten weit mehr Macht, Zuwendung und Anerkennung als sie je bekämen, wenn sie unter sich blieben. Hinzu kommt, dass Männer durch die Anwesenheit marginalisierter weiblicher Wesen nicht an das untere Ende der Machthierarchie abrutschen können. Ein Platz, der sie Frauen gegenüber privilegiert, ist ihnen sicher. Das vermindert Rangordnungskämpfe unter ihnen.
Auf diese Weise trägt die Marginalisierung von Frauen und Mädchen entscheidend dazu bei, dass das soziale Klima für Männer verbessert wird. Um diese Vorteile für Männer aufrecht zu erhalten, muss die beschriebene Struktur bestehen bleiben. Eine derartige Struktur ist nicht geeignet, Selbstbewusstsein und Wehrhaftigkeit bei Mädchen und Frauen zu fördern. Sie ist im Gegenteil sehr gefährlich:
„Die institutionalisierte Ungleichheit der Geschlechter begünstigt sexuelle Gewalt in verschiedener Weise. Sie hat zur Folge, dass Frauen nicht nur strukturell niedrigere Positionen einnehmen, sondern im Vergleich zum männlichen Geschlecht auch niedriger bewertet und weniger wertgeschätzt werden. Eine solche Herabwürdigung und negative Stigmatisierung ist stets ein zentrales, Gewalt erleichterndes und förderndes Element innerhalb der Diskriminierung einer bestimmten Gruppe von Menschen, seien es Schwarze, AusländerInnen, >Asoziale< oder eben Mädchen und Frauen.“ (Brockhaus/Kolshorn 1993, S. 98)
Entstehungsgeschichte des Wendo
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die Frauen der siebziger Jahre, die in Westdeutschland durch die moderne Frauenbewegung mobilisiert wurden und auszogen, um sich die Nacht zurückzuerobern, es spontan ablehnten, in „Männervereinen“ Selbstverteidigung zu erlernen. Sie fühlten sich – zu Recht – von den dort herrschenden Machtstrukturen abgestoßen.
Wir hatten damals in unseren Selbsterfahrungsgruppen die sexuelle Gewalt, die wir erlebt hatten, erstmals öffentlich gemacht und dadurch erkannt, dass sie kein individuelles Problem ist. Wir hatten die feministischen Texte der Autorinnen aus den Vereinigten Staaten (z.B. Firestone 1975; Millett 1971; Brownmiller 1980) gelesen und diskutiert. Wir wollten Abhilfe schaffen.
Polizei der 70er Jahre: „Lieber fünf Minuten vergewaltigt als ein Leben lang tot“
Die Männer – vor allem die Fachmänner – hielten damals ein derartiges Ansinnen für eine besonders verrückte und gefährliche Torheit der „Mode Frauenbewegung“. Schließlich vertrat die Kriminalpolizei damals noch völlig unbefangen den Slogan „Lieber fünf Minuten vergewaltigt als ein Leben lang tot“ als Empfehlung für das Verhalten von Frauen bei einer Vergewaltigung (vgl. Butzmühlen 1978, S. 19 ff.; Karate-Zeitschrift Nr. 5, 1979, S. 65 ff.; Nehls 1977, S. 1).
Es wurde immer wieder betont, dass auch eine jahrelang in Selbstverteidigung ausgebildete Frau einem verrückten Triebtäter letztendlich nicht gewachsen sei. Was nicht stimmt sondern ein patriarchaler Mythos ist. Der Begriff „Triebtäter“ suggeriert, dass es sich um einen Mann handelt, der von Kräften „getrieben“ wird, die weder er noch andere kontrollieren können. Er dient zur Dämonisierung des Täters und zur Einschüchterung von Frauen und Mädchen.
Margot Müller, Feministin, Autorin, Selbstverteidigungslehrerin
Wir vermuteten außerdem, was inzwischen durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt ist, dass sexuelle Gewalt nicht einzelnen Triebtätern zuzuschreiben sei. Dieser Schluss ließ sich schon aus der Häufung der Delikte nur in unserem weiblichen Bekanntenkreis ziehen. Außerdem waren wir nicht länger bereit, die „männliche Überlegenheit“ als Naturphänomen zu akzeptieren.
Vor diesem Hintergrund konnte es erstmals dazu kommen, dass Frauen Selbstverteidigungslehrerinnen akzeptierten. Damit unterrichteten zum ersten Mal Frauen nicht nur vereinzelt erwachsene Menschen in Kampfsport und Kampfkünsten. 6
Zwischen den Lehrerinnen entwickelten sich bundesweit Kontakte. Wir wollten gemeinsam eine Kritik an den traditionellen Kampfsportarten und den Kampfkünsten erarbeiten und ein neues, auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnittenes Konzept schaffen. Diese Bestrebungen wurden durch den Import solcher Konzepte vom nordamerikanischen Kontinent, wo der gleiche Prozess schon einige Jahre früher eingesetzt hatte, überholt und abgelöst.
Women do = Wendo
Eines dieser importierten feministischen Konzepte ist Wendo. Es wurde ausschließlich für Frauen in Kanada entwickelt. Der Name ist ein Wortspiel aus „women do“, was sowohl „Handeln der Frauen“ als auch „Weg der Frauen“ im Sinne des japanischen „do“ (der Weg) bedeutet. 7 Maria Eitel definiert in ihrer Konzeption diese Art der Selbstverteidigung kurz und treffend:
„Sie unterscheidet sich von allen Kampfsportarten dadurch, dass sie von Erfahrungen und Alltagssituationen von Frauen ausgeht und den ganzen Bereich im Vorfeld körperlicher Angriffe mit einbezieht“
Maria Eitel, S. 1
Diese inhaltliche Ausrichtung sowie die Bezeichnung, welche die Lehre als Handeln bzw. Weg der Frauen definiert, lassen Wendo als Schöpfung der modernen Frauenbewegung und als feministische Variante der Selbstverteidigung erkennen:
„Der wichtigste politische Beitrag der Frauenbewegung war, Frauen überhaupt als homogene Gruppe kenntlich zu machen: als soziale und politische Gruppe mit einer gemeinsamen Geschichte, gemeinsamen Problemen, gemeinsamen Eigenschaften und einer gemeinsamen Kultur“ (Benard/Schlaffer 1988, S. 13)
Der Wortbestandteil „do“ knüpft an die japanische Herkunft und Tradition der Budosportarten 8, dem Verständnis der Künste in Japan generell an:
„Die >Künste< in ihrer Gesamtheit besitzen einen W e g (dô, chin.: tao) und in ihrer Vielgestalt zahlreiche Einzelwege. Man spricht von einem Weg der Tuschmalerei, der Dichtkunst, der Teezeremonie, der Gartenkunst, des Blumensteckens, des Bogenschießens, des Schwertfechtens und anderen mehr. Und der Weg umschließt die handwerkliche und geistige Tradition einer jeden Kunst, ohne welche diese weder lebens- noch entwicklungsfähig ist. Somit vermittelt der Weg neben allgemein gültigen Wahrheiten und Lehren auch letzte Erkenntnisse einer Kunst. Er wird Mittel zur Bildung der Persönlichkeit“ (Watts 1961, S. 248).
Wendo unterscheidet sich also einerseits von anderen Kampfkünsten dadurch, dass es von den Erfahrungen und Lebensbedingungen von Frauen ausgeht. Andererseits knüpft es an die taoistische Tradition des W e g e s an, die eine Kunst als Mittel und Weg zur Persönlichkeitsentwicklung begreift. Es soll den Adeptinnen durch Übungen und mentales Training einen Weg zu ihrem persönlichen Selbstbewusstsein öffnen. Dieses Selbstbewusstsein ist wiederum die Grundlage von Selbstbehauptung oder Selbstverteidigung im Alltag.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt an die asiatische Tradition besteht darin, dass die Übungen die Entwicklung des „Ki“ (japanisch) (vgl. Schulze 1976) oder „Ch`i“ (chinesisch) bzw. in anderer Schreibweise „Qi“ (vgl. Zöller 1994), wie es uns z.B. in der Kombination Tai Chi oder Qi Gong bekannt ist, fördern sollen. Eine der verständlichsten Definitionen findet sich bei Frieder Anders:
Die Erfahrung von Frauen für die Selbstverteidigung nutzbar machen
„Aus Tai Chi, dem >höchsten Gesetz<, entstehen Yin und Yang. Yin und Yang erzeugen sich gegenseitig und erschaffen in ihrem ständigen Wechselspiel die Welt: Himmel und Erde, die Jahreszeiten, Tag und Nacht und schließlich die >zehntausend Dinge<. Das materielle Substrat dieser Schöpfung, sozusagen der >Urnebel< oder die universelle Energie, ist das Ch`i. Es war das Ch`i, das kondensierte und sich zu den vielfältigen Erscheinungen des Universums verdichtete. Auch im Menschen als einem Teil des Universums bewegt sich nach dem Prinzip des Yin und Yang diese universelle Energie: Der Mensch ist ein Mikrokosmos im Makrokosmos“ (Anders 1977, S. 20).
Diese und andere Definitionen legen nahe, dass der Begriff am besten mit dem Wort „Energie“ in all jener Vielfalt, in der auch wir es gebrauchen, zu übersetzen wäre. Durch den Einsatz von >Ki< werden Menschen zu Leistungen befähigt, die mit dem Einsatz reiner Muskelkraft nicht möglich wären. Die Ergebnisse sportphysikalischer Untersuchungen (vgl. Walker 1980; Schulze 1977, Nr. 1, S. 32 f. und Nr. 2, S. 32 f.) und die Erkenntnisse der Stressforschung (vgl. Birkenbihl 1983) bestätigen die Lehren der alten Meister und finden auch Eingang ins Wendo.
Die asiatischen Kampfkünste bieten einen breiten Fundus von Techniken, aus dem wir immer wieder erneut für unsere Zwecke schöpfen können. Ihre Verteidigungstechniken erscheinen besonders geeignet, da sie ihre Wirkung mehr der geschickten Anwendung von Naturgesetzen verdanken als roher physischer Körperkraft oder -masse – eine wesentliche Eigenschaft, die es auch kleinen, grazilen Frauen ermöglicht, ihre geringe Körpermasse durch Geschicklichkeit und Schnelligkeit im Kampf mit einem größeren Gegner wettzumachen. Neben diesen direkten Verteidigungstechniken finden wir in den asiatischen Kampfkünsten auch viele Körper- und Wahrnehmungsübungen sowie Meditationsübungen, die dazu geeignet sind, viele in der weiblichen Sozialisation erlittenen körperlichen und seelischen Verletzungen zu überwinden. Auch diese sind Bestandteil des Wendo.
Wie ich schon weiter oben erläuterte, reicht der unkritische Rückgriff auf die Tradition nicht aus. Wir dürfen beim Lernen nicht vergessen, dass die Kampfkünste von Männern für Männer im Kontext einer patriarchalen Kultur entwickelt wurden. Es ist für uns notwendig, diese Systeme in einen neuen kulturellen Zusammenhang zu integrieren. Die feministische Gesellschaftsanalyse, die im Rahmen der Frauenbewegung geleistet wird, ermöglicht uns, eine kritische Synthese von positiven Elementen patriarchaler Kultur und modernen gesellschaftlichen Erfordernissen, die unser Leben bestimmen, herzustellen. Die feministische Forschung hilft uns, die traditionellen Techniken und modernen Erkenntnisse aus anderen Bereichen in einen frauenspezifischen Rahmen zu übersetzen und anzuwenden.
Wendo wird nur von Frauen an Frauen weitergegeben
Schon aus dem bisher Geschriebenen ergibt sich eine weitere wesentliche Eigenart des Wendo, die der modernen Frauenbewegung in Europa und Nordamerika entwachsen ist: Wendo wird nur von Frauen an Frauen weitergegeben. Dies erfolgt zum größten Teil in der Form mündlicher Überlieferung, wie es übrigens auch für die asiatischen Kampfkünste üblich war und noch ist. Durch diese Exklusivität soll verhindert werden, dass Vergewaltiger Wendo-Techniken erfahren und sich gegen sie schützen. Um an dieser Stelle populären Vereinfachungen und Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich bei den Techniken nicht nur um den einfachen Tritt in die Hoden.
Jede Selbstverteidigungsexpertin weiß, dass eine Verteidigungstechnik, die der Gegner voraus zu sehen vermag, leicht abzuwehren ist. Deswegen ist es zum besseren Schutz der Wendo lernenden Frauen wichtig – gerade für Anfängerinnen, die noch wenige Techniken beherrschen – dass der Angreifer, der ja auch ein Kampfsportler sein kann, keine dieser Techniken vorzeitig erkennen und damit vereiteln kann. Gut ausgebildete Frauen können bei Bedarf leichter von einer Technik zur anderen wechseln.
Geheimes Frauenwissen alarmiert Männer
Ein darüber hinausgehender und noch wichtigerer Aspekt ist die Macht, die ein nur für uns, zu unserem Schutz, entwickeltes Wissen bedeutet. Männer haben seit jeher große Angst vor dem geheimen Wissen der Frauen. Sie sind teilweise mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen „wissende“ Frauen vorgegangen. Da ist vor allem der Feminizid durch die Hexenverfolgungen, bei denen es darum ging, Wissen, Macht und Unabhängigkeit von Frauen zu vernichten und sie in die Hand der Männer zu bringen (vgl. Heinsohn/Steiger 1989). Es geht für uns heute darum, Räume zurückzuerobern und in einem traditionell stark männlich definierten Bereich Autonomie zu erlangen und die dadurch gewonnene Macht zu unserem Schutz zu nutzen.
Als historische und aktuelle Opfer von Männergewalt reklamieren wir für uns das Recht auf Exklusivität. Außerdem ist das manchmal sehr plötzlich aufflammende Interesse der Männer doch sehr suspekt. Es gilt bemerkenswerter Weise immer nur den Bereichen, in denen wir etwas erreicht haben und nicht uns oder der Frauenförderung generell. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass Konkurrenz die Ursache des Interesses und Vereinnahmung das Mittel zur Aufrechterhaltung der bisherigen Vormachtstellung ist.
Zu diesen sicherheits- und machtpolitischen Erwägungen kommen pädagogische und psychologische Faktoren hinzu. So schreiben Angelika Adner und Heike Mänz in ihrem Aufsatz zu diesem Thema:
„Männer sind nicht selbst betroffen. Sie haben selbst keine Angst vor Vergewaltigungen, sind selbst nicht den alltäglichen Belästigungen wie Frauen ausgesetzt. Sie können deshalb auch nicht unsere konkreten Situationen verstehen, aufgreifen und bearbeiten“
Angelika Adner und Heike Mänz (Adner/Mänz 1986, S. 197)
Männer dabeizuhaben, bindet die Energie von Frauen
Die mangelnde Betroffenheit von Männern sowie deren durch die männliche Sozialisation erworbener Mangel an Empathiefähigkeit erfordern für eine einigermaßen produktive Zusammenarbeit mit dem anderen Geschlecht – insbesondere in diesem Bereich – einen schwierigen und anstrengenden Vermittlungsprozess durch uns Frauen. Dieser kraftraubende Prozess bindet notwendigerweise Energien, die wir für unsere eigene Entwicklung einsetzen können, wenn wir unter uns bleiben.
Der schwerwiegendste Grund für einen Ausschluss der Männer ist aber die Tatsache, dass ein großer Teil der Frauen schon Gewalt durch Männer am eigenen Leib erfahren hat. Für viele dieser Frauen ist eine Konfrontation mit dem anderen Geschlecht und ein körperlicher Kontakt insbesondere in einer gewalttätigen Situation, wie es ja im Selbstverteidigungstraining unumgänglich ist, unerträglich. Sie meiden gemischt geschlechtliche Gruppen. Diese Frauen werden durch eine Teilnahme von Männern grundsätzlich ausgegrenzt. Ausnahmslos allen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, fällt es leichter, über ihre oft als peinlich empfundenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt zu sprechen, wenn kein Mann anwesend ist. Nach meinen Beobachtungen verhalten sich Frauen wie Mädchen wesentlich ungezwungener, offener und selbstbewusster, wenn sie unter sich sind. Männer fungieren als Repräsentanten der patriarchalen Gewalt und als Wächter patriarchaler Normen – und das umso mehr, je weniger dies ihnen und ihrer Umgebung bewusst ist. Fehlen diese Wächter, sind Frauen eher bereit aus ihrer Frauenrolle zu schlüpfen und als männlich angesehene Fähigkeiten und Eigenschaften zu zeigen.
Der erste Schritt: Die Aufgabe der Opferdenke
Damit Frauen und Mädchen sich erfolgreich wehren können, ist es notwendig, dass sie sich von patriarchalen Denkweisen und Normen befreien, die sie als hilflose Opfer stigmatisieren. Der Akt der Befreiung besteht unter anderem darin, dass wir aufhören, unseren um Anerkennung bettelnden Blick auf den Fetisch Mann zu richten und uns nicht mehr durch die Augen von Männern zu sehen. Wir müssen damit beginnen, diese Verhaltens- und Denkweisen aufzukündigen. Nur auf diese Weise kommen wir zu einem Bewusstsein von uns selbst – zu einem Selbstbewusstsein:
„Die beste Chance gegen männliche Übergriffe hat meiner Meinung nach die Frau, die selbstbewusst weiß, dass sie sich auf ihre Wahrnehmung verlassen, Gefahrensituationen ins Auge schauen und sich dann gezielt für eine ihr erfolgversprechende Reaktion entscheiden kann. Das kann in der einen Situation eine klare verbale Abgrenzung sein, in einer anderen vielleicht die entschlossene körperliche Gegenwehr. Und dieses Selbstbewusstsein wird sie vermutlich auch im >normalen< Leben ausstrahlen! Frauen, die eher gewohnt sind, in >schwierigen< Situationen passiv abzuwarten, den >Kopf in den Sand zu stecken<, ihr ungutes Gefühl vielleicht damit zu >beruhigen<, dass sie sich z.B. einreden, ihr Kollege habe bestimmt >zufällig< die Hand auf ihr Knie gelegt oder es vermutlich nur ganz freundschaftlich gemeint, haben sicher einiges aufzuarbeiten, wenn sie sich (…) schützen wollen“.
Paul 1993, S.724
Nur ein Selbstbewusstsein ermöglicht es uns, im Alltag Grenzen zu ziehen und deren Einhaltung energisch, notfalls mit Gewalt, durchzusetzen. Solange ich nicht weiß, was ich will, sondern mich darauf beschränke, zu erkennen und zu tun, was meine jeweilige Umgebung von mir erwartet, kann ich mich nicht abgrenzen und meinen eigenen Weg gehen.
Sich klarmachen, dass Grenzziehung Gewalt provozieren kann
So grundlegend eine derartige Selbsterkenntnis für die Selbstbehauptung im Alltag ist, so ist sie allein nicht ausreichend. Indem die patriarchale Gesellschaft (sexuelle) Gewalt von Männern wie Bübchen gegen Frauen und Mädchen begünstigt (vgl. Brockhaus/Kolshorn 1993, S. 224), unterminiert sie die Gegenwehr von betroffenen Mädchen und Frauen. Deswegen trauen Frauen sich oft auch dann nicht, ihre Grenzen zu setzen und zu behaupten, wenn sie prinzipiell dazu in der Lage wären. Sie befürchten – zu Recht – negative Folgen. Es gibt zu viele Männer, die nicht bereit sind, den Willen einer Frau zu akzeptieren. Solche Männer nutzen jede erdenkliche Möglichkeit bis hin zu gravierenden Formen (sexueller) Gewalt, um sich durchzusetzen – und sie fühlen sich dabei im Recht. Sie werden durch die gängigen Rollenerwartungen und Vorurteile in dieser Haltung bisher sogar noch bestätigt. Aus diesen Gründen kann sich keine Frau und kein Mädchen völlig darauf verlassen, allein durch ein selbstsicheres Auftreten vollständig geschützt zu sein.
Bereit werden zuzuschlagen und wehzutun
„Sich in Selbstverteidigung üben heißt also auch, Techniken zu lernen, die weh tun und verletzen. Bedeutend ist aber vor allem, die Hemmung zu überwinden, diese Techniken dann auch anzuwenden und die Einstellung, die Entschlossenheit zu gewinnen, ein Überschreiten eigener Grenzen, einen Angriff auf die Integrität, in welcher Form auch immer, nicht zu dulden. Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass diese Einstellung und das Bewusstsein, sich nötigenfalls körperlich zur Wehr setzen zu können, sich potentiellen Angreifern vermittelt und die Gefahr eines körperlichen Angriffs mindert“ (Weißmann 1994, S. 82).
Eine solche Entschlossenheit fällt den meisten Mädchen und Frauen schwer. Denn die gleichen traditionellen Rollenerwartungen und Vorurteile, die von Männern Aggression und Selbstbehauptung fordern, sind dafür verantwortlich, dass Frauen die Fähigkeit zu Durchsetzung und Gegenwehr nicht in gleichem Maße zugestanden wird. Es wird ihnen im Gegenteil oft die Mitschuld an Vorfällen angelastet:
„Eine normale Frau ist nicht nur edel in ihrem Innersten, sie kleidet und verhält sich auch anständig.
Eine wirklich >echte Dame< wird selbstverständlich auch nicht angepöbelt oder gar belästigt, ganz zu schweigen davon, dass sie tätlich angegriffen oder gar vergewaltigt würde. Dazu ist sie zu rein und unangreifbar. Wird eine Frau nun aber >unsittlich< belästigt, so muss sie sicher >Dreck am Stecken< haben“ (Adner/Mänz 1986, S. 183).
Sich klarmachen, dass die Umwelt nicht unbedingt solidarisch ist
Den Opfern wird die Schuld zugewiesen und in logischer Konsequenz wird die Gegenwehr als Schikane gegenüber dem Täter betrachtet. Frauen und Mädchen, die selbstsicher ihre eigenen Grenzen bestimmen und behaupten, müssen also unter Umständen nicht alleine Gewalt bis hin zur physischen Vernichtung befürchten. Sie sind auch nicht der uneingeschränkten Solidarität ihrer Umwelt sicher, wenn sie sich sich gewehrt und überlebt haben.
Im Gegenteil: Eine juristische Verfolgung und eine Konfrontation mit sexistischen Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamten, Anwältinnen oder Anwälten, und Richterinnen oder Richtern sind keineswegs ausgeschlossen. (vgl. Eikenaar 1985) Auch ihre Umgebung wird unter Umständen mit Mitleid, selten aber mit Lob für die Tapferkeit oder auch mit Verständnis reagieren. Wahrscheinlicher ist, dass direkte und indirekte Vorwürfe an das Opfer gerichtet werden, wie es überhaupt in eine „solche“ Situation kommen konnte.
Angesichts dieser Umstände reicht es nicht aus, verbale oder physische Selbstbehauptung zu vermitteln, denn die Wahrscheinlichkeit effektiver Gegenwehr ist umso größer,
- „- je weniger ambivalent die Frau einen Übergriff erlebt,
- – je eindeutiger und angemessener sie die Situation erfasst,
- – je eindeutiger der Widerstand gegen die Übergriffe in Einklang mit der inneren Überzeugung der Frau steht,
- – je weniger Verantwortung die Frau sich für die Situation zuschreibt,
- – je mehr Abwehrstrategien für die Frau subjektiv in Frage kommen und
- – je geringer sie die Kosten der Gegenwehr im Vergleich zum Nutzen einschätzt.“ (vgl. Brockhaus/Kolshorn 1993, S. 234)
Arbeitsformen des Wen-Do
Um diese Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, ist es notwendig, die vielfach in den Köpfen herumspukenden gesellschaftlichen Mythen bewusst zu machen und zu entlarven.
„Die patriarchale Gesellschaft leistet sexueller Gewalt schließlich auch dadurch Vorschub, dass sie die Grundlage sexistischer, individueller Handlungsdispositionen ist. Die in allen Bereichen der Gesellschaft manifestierte Geschlechterhierarchie wird von den Menschen als sexistische Vorstellungswelt verinnerlicht und prägt ihre Selbstbilder, ihre Wahrnehmungen und ihr Verhalten. Von besonderer Bedeutung sind hier neben der (…) gesellschaftlichen Verdinglichung weiblicher Sexualität und tradierten Verfügungsrechten des Mannes die traditionellen Geschlechtsrollen sowie zahlreiche falsche Vorstellungen über sexuelle Gewalt gegen Kinder und Frauen, die sogenannten Mythen. Diese sind eng mit den traditionellen Geschlechtsrollen verbunden und damit fest in der patriarchalen Gesellschaft verankert. (…) Diese Mythen sind weit verbreitet und werden sowohl von Männern als auch von Frauen geteilt“ (ebd., S.99 f.)
Den Mythos vom schwachen Geschlecht und vom unbesiegbaren Helden überwinden
Im Wendo ist die Auseinandersetzung mit dem Mythos vom starken und vom schwachen Geschlecht zentral. Dieser Mythos suggeriert, dass weibliche Selbstbehauptung und Selbstverteidigung nicht nur zwecklos, sondern darüber hinaus kontraproduktiv sei. Es wird vermittelt, Frauen seien zu schwach, zu dumm und zu hysterisch, um sich effektiv wehren zu können. Sie würden sich mit dem von vorne herein sinnlosen Bemühen der Gegenwehr nur selbst schaden. Die Mädchen und Frauen zugeschriebene Schwäche und Hilflosigkeit geht einher mit Darstellungen, die den männlichen Helden schier übernatürliche Fähigkeiten verleihen (z.B. James Bond).
Auch den Tätern werden diese Fähigkeiten angedichtet. Der Täter ist ein Dämon, der überall plötzlich und unwahrnehmbar auftauchen kann, die gleichen übernatürlichen Fähigkeiten hat und ebenso unbesiegbar ist wie der Held. Nur dieser kann ihn besiegen. Der Dämon Täter ist für gewöhnliche sterbliche Frauen unsichtbar, unhörbar und unriechbar. Er kann alle Türen geräuschlos öffnen, erholt sich im Nu von Verletzungen und besitzt die Gabe der uneingeschränkten Vorausschau. Er weiß deswegen, was das Opfer plant und wo er es finden kann. Das Opfer hat nie eine Chance – außer der Rettung durch den Helden – weil der dämonisierte Täter ihm in jeder Hinsicht überlegen ist.
Der so entstehende Kontrast zwischen fiktiver männlicher Überlegenheit und fiktiver weiblicher Unterlegenheit suggeriert, dass es in der Realität eine ähnliche (wenn vielleicht auch nicht ganz so große) Differenz zwischen den Geschlechtern gibt, die es unmöglich macht, dass Frauen Männer besiegen.
In den fiktiven Handlungen ist es obendrein in der Regel so, dass Frauen, die sich im Sinne des patriarchalen Frauenbildes dumm, passiv und hilflos verhalten, letztlich vom Helden in eine glückliche Zukunft gerettet werden. Frauen dagegen, die diesem Klischee nicht entsprechen, sondern aktiv etwas zu ihrer Rettung unternehmen, müssen dies entweder sofort oder später büßen. Derartige Klischees suggerieren, dass Widerstand sich für Frauen niemals lohnt.
Diese Mythen finden in den Medien, d.h. in (Kriminal-) Romanen, Spiel- und Fernsehfilmen, in der Presse und sogar in den Nachrichten, in Dokumentationen und wissenschaftlichen Abhandlungen eine moderne, d.h. massenhafte und überzeugend inszenierte Verbreitung. Es wird dort ein verzerrtes, ideologisches Bild von Frauen und Männern entworfen, das weniger der Wirklichkeit als vielmehr einem männlichen Wunschdenken entspricht.
Männer sind besiegbar. Auch körperlich
Möglichst genaue Kenntnisse der Realität zu vermitteln ist Aufgabe des Wendo. Durch das Erlangen von Kenntnissen werden falsche Vorstellungen korrigiert und Handlungsmöglichkeiten gewonnen. Im Wendo-Training wird gezeigt, dass Männer keinesfalls so stark und unbesiegbar sind wie es in den Medien immer dargestellt und von ihnen selbst gerne geglaubt wird. Frauen und Mädchen werden im Training mit der Tatsache vertraut gemacht, dass jeder Mann ebenso viele physische Schwachpunkte hat wie jede Frau. Zusätzlich hat er einen sehr empfindlichen Schwachpunkt mehr.
Das Zerschlagen eines 2 cm dicken Holzbrettes zeigt, dass Frauen und Mädchen keineswegs so schwach sind wie gewöhnlich geglaubt wird. Darüber hinaus lernen sie,
– dass das plötzliche und vorher nicht wahrnehmbare Auftauchen des Angreifers im Film ein dramaturgischer Kniff ist (auf Kosten der Frauen) und deshalb als unrealistisch bezeichnet werden kann,
- – wie sie Panik und Lähmung vermeiden können,
- – wie sie die heimliche Annäherung eines Angreifers wahrnehmen und darauf reagieren können,
- – wann, wo, wie und durch wen Übergriffe in den meisten Fällen geschehen,
- – wie sie erkennen können, wenn sich eine Vergewaltigung anbahnt,
- – wie sie eine Eskalation möglicherweise verhindern können, indem sie selbstbewusst Grenzen setzen,
- – wie sie sich und andere Frauen wie Mädchen durch präventive Maßnahmen schützen können,
- – dass sie nur für sich und ihre eigenen Handlungen verantwortlich sind und nicht für Männer und deren Handlungen.
Frauen sind nicht für die Taten von Männern verantwortlich. Nie
Die gesellschaftlich vermittelte Verwirrung der Frauen und Mädchen darüber, wer für die Männergewalt gegen Frauen verantwortlich ist, behindert eine realistische Einschätzung von Situationen und eine daraus resultierende effektive Gegenwehr. Daher ist es eines der wichtigsten Lernziele des Wendo klarzustellen, dass jede Frau 9 nur für sich selbst, ihren Körper, ihre Handlungen und ihre Entscheidungen verantwortlich ist. Sie trägt die Konsequenzen für ihr Handeln bzw. Nichthandeln. Sie ist aber keinesfalls verantwortlich für die Sexualität, die Aggressionen, den psychischen Zustand, die Handlungen des Angreifers. Dafür ist dieser selbst verantwortlich, und er muss die Konsequenzen tragen, die daraus entstehen.
„Wir sehen die Schuld ohne Wenn und Aber bei der angreifenden Person, d.h. dem Täter. Für uns heißt das jedoch nicht, die angegriffene Person auf ein völlig handlungsunfähiges und hilfloses Objekt zu reduzieren. Das Verhalten eines von sexueller Gewalt bedrohten oder betroffenen Menschen kann sehr wohl dazu beitragen, die Tat oder eine Wiederholung bzw. Steigerung der Übergriffe zu verhindern, was – um es noch einmal deutlich zu sagen – nicht gleichbedeutend damit ist, die Tat verursacht oder sie zu verantworten zu haben“ (Brockhaus/Kolshorn 1993, S 219)
Gegenwehr ist produktiv. Trau dich!
Neben dieser Klärung der „Zuständigkeiten“ ist eine weitere zentrale Frage die nach dem Sinn von Gegenwehr. Die Regelmäßigkeit, mit der diese Frage in Seminaren auftritt, zeigt, wie groß der Aufklärungsbedarf gerade in diesem Punkt ist. Die Erfahrungen von Frauen, die sich erfolgreich gewehrt haben (vgl. Caignon/Groves 1990), als auch Studien (vgl. Paul 1993; Nehls 1977) belegen, dass der Mythos, der besagt, eine effektive Gegenwehr sei kontraproduktiv, eher dazu geeignet ist, den Täter statt das Opfer zu schützen.
In ca. 80 % der Fälle ist eine heftige und entschiedene Gegenwehr erfolgreich! Und das bei Frauen, die niemals Selbstverteidigung erlernt haben!
Susanne Pauls Untersuchung ergab sogar, dass 95 % der Frauen, die sich gewehrt haben, damit Erfolg hatten, während diese Gegenwehr in nur 0,5 % der Fälle zu einer Eskalation der Gewalt vonseiten des Täters führte (vgl. Paul 1993, S. 723). Die Chance, erfolgreiche Gegenwehr zu leisten steht also mindestens 4:1 zugunsten der Frauen. Demgegenüber steht die Tatsache, dass das fragwürdige Versprechen eines Vergewaltigers – also eines Kriminellen – er würde der Frau oder dem Mädchen „nichts tun“, wenn sie sich nur seinen Wünschen füge, eine dreiste Lüge ist, die ausschließlich dazu dient das Opfer gefügig zu machen. Eine Vergewaltigung ist nicht Nichts, und da der Täter das weiß, ist es keineswegs sicher, dass er sein Opfer nach vollbrachter Tat nicht doch umbringt. „Zur Verdeckung der Straftat“, wie es im Polizeijargon heißt.
Darüber hinaus gibt es Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Tätergewalt zur Eskalation neigt: Je mehr ein Täter eine Frau gedemütigt und erniedrigt hat, desto geringer wird seine Hemmschwelle ihr mehr anzutun oder sie zu töten.
Wendo vermittelt auch theoretischen Hintergrund
Die Vermittlung der geistigen Lehrinhalte des Wendo geschieht nicht durch Frontalunterricht. Durch Diskussionen und Rollenspielen sollen Frauen und Mädchen die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Wege innerhalb der gesellschaftlichen Realität in der sie leben zu finden. Sowohl die Diskussionen als auch die Rollenspiele sind nicht vorgegeben. In den Diskussionen werden die Probleme bearbeitet, die für die teilnehmenden Mädchen oder Frauen aktuell sind. Das gleiche gilt für die Rollenspiele. Frauen und Mädchen spielen Szenen, die sie selbst erlebt haben. Entweder, um den anderen zu zeigen, wie sie sich erfolgreich zur Wehr gesetzt haben oder, um gemeinsam neue Lösungen für befürchtete oder ehemals erlebte Situationen zu finden. Sie üben, sich nicht hilflos und inkompetent zu verhalten, wie es ihnen anerzogen wurde, immer wieder im Fernsehen vorgemacht und von ihrer Umwelt erwartet wird. Sie erproben und erlernen statt dessen erfolgversprechende Verhaltensweisen, die ihnen persönlich angemessen sind. Hierbei spielt der Erfahrungsaustausch mit anderen Frauen und Mädchen eine wichtige Rolle, denn was die eine nicht kann, kann eine andere. Alle zusammen lernen in einem gemeinsamen Prozess, dass Frauen nicht so unfähig sind, wie sie oft selbst glauben.
Ausblick: Wendo sollte Volkssport werden
Auch wenn Wendo, wie alle Kampfkünste, nicht unbesiegbar macht, so ist eine Frau, die es erlernt hat, durchaus einem „normalen“ Mann körperlich und geistig überlegen. Deswegen erscheint mir Wendo als ein probates Mittel, die Vorherrschaft der Männer zu untergraben, insbesondere im körperlichen Bereich. Dazu ist es allerdings notwendig, dass Wendo für Frauen und Mädchen zum Volkssport wird.
Um dies zu erreichen, ist noch viel zu tun. So gilt es zum Beispiel, das Konzept bzw. feministische Selbstverteidigungskonzepte überhaupt weiterzuverbreiten. Der Zugang zu dieser Sportart muss erleichtert werden. Bisher finden oft nur Frauen, die gezielt und systematisch danach suchen, feministische Selbstverteidigungskurse von Frauen für Frauen.
Es gilt auch, einen Anschluss an den organisierten Sport – ohne Aufgabe der Autonomie – zu erwägen. Ein solcher Anschluss würde auch dort die Machtverhältnisse zugunsten der Frauen verschieben und die Integration feministischer Konzepte als freiwilliges Angebot in Institutionen wie Schulen und Verbänden erleichtern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele Frauen und Mädchen, insbesondere aus konservativen Kreisen und in ländlichen Gebieten, nach wie vor ausschließlich Zugang zu traditionellen Strukturen haben. Zum einen sollte auch ihnen ein besserer oder überhaupt ein Zugang zu feministischen Konzepten ermöglicht werden. Zum anderen könnte ein feministisches Konzept innerhalb dieser traditionellen Strukturen zur Durchsetzung von Reformen zugunsten der Frauen und Mädchen hilfreich sein.
Die Ausbildung muss verbessert werden
Ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt und außerdem zentrale Bedeutung für die Verbreitung von Kampfkünsten unter Mädchen und Frauen besitzt, ist die Situation der Wendo-Lehrerinnen. Die Ausbildung von Selbstverteidigungslehrerinnen sollte intensiviert werden. Solange es jedoch nur eine mangelhafte soziale Absicherung, keine existenzsichernden Honorare oder gar feste, dauerhafte Anstellungen für die Lehrerinnen gibt, wird eine Intensivierung der Ausbildung den Lehrerinnenmangel nicht beheben. Um die Anzahl der qualifizierten Lehrerinnen zu vermehren, ist es erforderlich, dass der Beruf der Selbstverteidigungslehrerin wirklich eine sichere berufliche Perspektive für Frauen bietet und nicht nur als eine Nebenbeschäftigung, z.B. während des Studiums, ausgeübt werden kann. Dies gilt umso mehr, da solche ungesicherten Nebenbeschäftigungen für Frauen meist nur eine zusätzliche Belastung darstellen, ohne dass sie eine ökonomische Unabhängigkeit, wie wir sie für Frauen anstreben, mit sich bringen.
Bisher werden viele gute Lehrerinnen, wenn es ihnen denn überhaupt gelingt, sich auf dem freien Markt in einem völlig ungesicherten „freien“ Beruf zu etablieren, zwischen den vielfältigen hohen Ansprüchen der Institutionen und Interessentinnen psychisch wie ökonomisch zerrieben, so dass sie den Beruf zugunsten eines ökonomisch sichereren und weniger belastenden nach wenigen Jahren aufgeben.
Frauen, die innerhalb der Institutionen die möglichst vielen und möglichst billigen Dienstleistungen in Anspruch nehmen, sollten sich überlegen, auf wessen Rücken sie „ihr“ Angebot gestalten und anfangen, nach frauenfreundlichen Lösungen zu suchen.
Literaturliste
Adner, Angelika, Heike Mänz: Selbstverteidigung und Selbstbehauptung von Frauen für Frauen, in: Sylvia Schenk (HG.): Frauen Bewegung Sport, Hamburg 1986
Benard,Cheryl, Edith Schlaffer: Die ganz gewöhnliche Gewalt in der Ehe, Reinbek bei Hamburg 1978
-,-,: Der Mann auf der Straße, Reinbek bei Hamburg 1980
-,-: Männer. Eine Gebrauchsanweisung für Frauen, Reinbek bei Hamburg 1988
Birkenbihl, Vera F.: Freude durch Stress, Landsberg a. Lech 1983
Brockhaus, Ulrike, Maren Kolshorn: Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen, Frankfurt/New York 1993
Brownmiller, Susan: Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt a.M. 1980
Butzmühlen, Rolf: Vergewaltigung, Gießen 1978
Deutscher Sportbund: Bestandserhebung 1994, Frankfurt a.M. 1994
Dürckheim Karlfried Graf: Wunderbare Katze und andere Zen-Texte, Bern, München, Wien 1984
Ehrhardt, Ute: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin, Frankfurt a.M. 1994
Eikenaar, Albert in: Der Stern, Nr. 24, 05.06. 1985
Eitel, Maria: Unveröffentlichtes Manuskript, o. J.
Firestone, Sulamith: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt a.M. 1975
Heinsohn, Gunnar, Otto Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen, München 1989
Karate – Zeitschrift Nr. 5/1979, S. 65 ff, (keine Autorin genannt)
Klein, Michael (Hg.): Sport und Geschlecht, Reinbek bei Hamburg 1983
Martin, Jane Roland (1985), >>Excluding Women from the Educational Realm<<, zitiert nach: Minnich, Elizabeth K.:Von der halben zur ganzen Wahrheit; Einführung in feministisches Denken, Frankfurt/New York, 1994
Millett, Kate: Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft, München 1971
Minnich, Elizabeth K.: Von der halben zur ganzen Wahrheit. Einführung in feministisches Denken, Frankfurt/New York 1994
Müller, Margot: Selbstverteidigung für Frauen?, Vortrag vom 12.03. 1987 im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Männliche Gewalt-weibliche Ohnmacht? Selbstverteidigungskurse – eine Strategie für Frauen?“ in Frankfurt a.M.
Nehls, Peter: Bundestrainer Ju-Jutsu, Bad Schwartau 1977 (unveröffentlichtes Manuskript)
Paul, Susanne in: Kriminalstatistik, Nr. 11, 1993, S. 721-724
Roggenkamp, Viola: Was jetzt?, in: Emma, Nr. 10, 1987, S. 32-34
Schenk, Sylvia: Männliche Kraft, weibliche Anmut. Gegen die Rollenerziehung im Sport, in: M. Jannsen-Jurreit: Frauenprogramm. Gegen Diskriminierung, Reinbek bei Hamburg 1979
Scheu, Ursula: Wir werden nicht als Mädchen geboren, wir werden dazu gemacht, Frankfurt a.M. 1981
Schulze, K.J.: Gedanken zu der Kraft, die wir Ki nennen, in: Judo, Nr. 7, 1976
-: Theoretische Grundlagen für die Durchführung von Wurf-, Hebel-, Würge- und Atemitechniken in den Budo-Disziplinen, in: Judo, Nr. 1, 1977, S. 32-33
Steinhage, Rosemarie: Sexueller Missbrauch an Mädchen, Reinbek bei Hamburg 1989
Taisen, Deshimaru-Roshi: Zen in den Kampfkünsten Japans, München 1978
Walker, Jearl: Die Physik des Judo und Aikido, in: Spektrum der Wissenschaft, Nr. 9, 1980
Watts, Alan W.: Zen-Buddhismus, Reinbek bei Hamburg 1961
Weißmann, Beate: Strategien der Gegenwehr und Prävention – ein städtisches Frauenreferat handelt, in: Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Materialien aus dem Hessischen Jugendring, Wiesbaden 1994
Wex, Marianne: „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse, Hamburg 1980
Zander, Brigitte: Wehe dem, der zu uns kommt, in: Der Stern, Nr. 17, 1989, S. 198-199
Zöller, Josephine: Das Tao der Selbstheilung, Berlin 1994
Aus Constance Engelfried (Hg.) Auszeit – Sexualität, Gewalt und Abhängigkeiten im Sport, Frankfurt/ New York 1997
Über die Autorin Margot Müller:
Margot Müller geboren 1952, ist engagierte Feministin und EMMA-Autorin. Seit 2010 ist sie Bundessprecherin der Feministischen Partei DIE FRAUEN. Sie unterrichtet seit 1978 Selbstverteidigung für Frauen wie Mädchen und ist Mitbegründerin des „Frauenvereins für Selbstverteidigung“ in Frankfurt am Main. Sie hat den 1. Dan (Schwarzen Gürtel) im Judo und den 2. Kyu (Blauen Gürtel) im Ju-Jutsu und die Übungsleiterinnen-Fachlizenz des Deutschen Sportbundes und des Deutschen Judobundes erworben.
Ihre Zusatzausbildung in Wendo absolvierte sie bei der Diplompsychologin Heike Mänz. Margot Müller war jahrzehntelang aktives Mitglied und Frauenbeauftragte im 1. Deutschen Judoclub e. V. sowie Mitbegründerin der Landesgruppe Hessen des Deutschen Dan-Kollegiums e. V. Sie war Referentin für Frauenselbstverteidigung beim Landessportbund Hessen und der Universität Mannheim. Sie studierte Ethnologie, Soziologie und Vor- und Frühgeschichte mit dem Schwerpunkt Patriarchatsgenese.
Endnoten
11 Es würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, auf die weibliche Sozialisation in unserer Kultur und den Zusammenhang mit der Wehr- und Hilflosigkeit von Frauen und Mädchen in allen Aspekten einzugehen. Es sei ausdrücklich auf die zahlreiche Literatur verwiesen, von der hier nur einige Titel angeführt seien: Brockhaus/Kolshorn 1993; Ehrhardt 1994; Klein 1983; Schenk 1979; Scheu 1981; Wex 1980
22 Die Ausnahme ist Wing-tsun, eine Variante des Kung-Fu. Sie wurde der Überlieferung nach von einer Nonne entwickelt, wird aber wie die anderen seit Generationen vorwiegend von Männern praktiziert und weitergegeben.
33 Die Wissensvermittlung im Unterricht ist generell ein finsteres Kapitel, das einer ausführlicheren kritischen Auseinandersetzung bedürfte als sie hier möglich ist. An dieser Stelle sei nur soviel dazu gesagt, dass sie sich in der Regel beschränkt auf eine Phraseologie, in der sich aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang gerissene Elemente asiatischer Philosophie mit chauvinistischen Ideologien vermischen.
44 Mit diesen Ausführungen will ich nicht sagen, dass Frauen überhaupt nichts aus der asiatischen Philosophie lernen können.
55 Es gibt durchaus Frauen, die Erwachsene unterrichten. Sie sind immer noch eine seltene Ausnahme und unterrichten meist wiederum Frauen.
66 So unterrichtete schon 1972 die Autorin Marion Hof in Würzburg Erwachsene, überwiegend Männer, im Taekwon-Do (Judo, Nr. 1973, S. 12). Doch heute sind Frauen, die Erwachsene beiderlei Geschlechts unterrichten, eine große Ausnahme.
77 Wir finden diesen Wortbestand bei vielen asiatischen Kampfkünsten: Aikido, Hapkido, Iaido, Kendo, Kyudo, Taekwon-Do.
88Der Begriff „Budo“ setzt sich aus „bu“ = Krieg und „do“ = Weg zusammen. Als Budosportarten werden alle japanischen, häufig auch alle asiatischen Kampfsportarten oder Kampfkünste bezeichnet.
99 Dies gilt für Mädchen nur mit Einschränkungen (vgl. Brockhaus/Kolshorn 1993, S. 23, S. 124 ff.).
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