Am Wochenende habe ich einer Seminarübung teilgenommen, die der Erforschung des eigenen Selbstwertgefühls diente. Zunächst sollte man sich die gegenseitige Wertschätzung in Worten ausdrücken. Bei der Folgeübung sollte man die Wertschätzung mit einem echten Geldschein begleiten. Ergebnis: Frauen gaben mehr, Männer nahmen mehr. Aus Gewohnheit?
Wenn Geld Wertschätzung ausdrückt, sind unbezahlte Leistungen nix wert
Die Geldübung war gut eingeleitet. Denn indem wir einander vorher verbal unsere Wertschätzung ausdrückten, war zumindest mein emotionales Haben-Konto gut gefüllt, und es fiel mir leicht, Geldscheine, die ich in diesem Zusammenhang als Spielgeld betrachtete, als Zeichen meiner Wertschätzung weiterzugeben. Das wäre komplett anders gewesen, wenn wir einander zuvor freundlich Kritik mitgeteilt und einander dann Geldscheine überreicht hätten.
Als es losging, hatten wir alle Scheine im Wert von 50 Euro in der Tasche. Ich bekam von den andern Teilnehmenden jede Menge Geldscheine und gute Worte, und gab meinerseits freigiebig Geldscheine und gute Worte aus. Schließlich bekam ich sogar einen ganzen 50-Euro-Schein und war damit bei 80 Euro. Hätte ich hier aufgehört, wäre ich mit 30 Euro mehr aus der Übung rausgegangen, als ich hineingegangen war.
Frauen spüren eine moralische Verpflichtung, mehr zu geben als zu nehmen
Interessanterweise spürte ich aber innerhalb der sehr netten Gruppe und auch innerhalb des ganzen Spiels sowie gegenüber den sehr freigiebig Energie und Freundlichkeit verteilenden Gruppenleitern eine große Bringschuld. Ich verspürte eine moralische Verpflichtung, den „großen“ Schein von 50 Euro, den ich am Ende hatte, nicht zu behalten, sondern weiter zu geben, um damit gefühlt der Gemeinschaft etwas Gutes zu tun.
So stark war mein Gefühl, nicht mit 80 Euro rausgehen zu dürfen, dass ich wirklich am Ende die 50 Euro einer Person weitergab, die ich für würdig befand, sie zu bekommen. Somit war ich letztlich 20 Euro ärmer als zu Beginn des Spiels. Das fühlte sich in dem Moment sehr stimmig an, weil ich mich gut fühlte, viel bekommen und viel gegeben zu haben.
Männer hatten fast alle mehr genommen
Das Störgefühl tauchte auf, als wir die Übung in der Gruppe besprachen. Es erwies sich, dass von allen Männern der Gruppe inklusive einem Mann vom Leitungsteam, genau ein Mann am Ende mit 20 Euro weniger als vorher dastand, während alle anderen mehr hatten als vorher. Einer hatte nur 5 Euro mehr, einige waren aber auch 20 oder gar 60 Euro reicher als vorher.
Aus dem zahlenmäßig größeren Frauenteam stand hingegen nur eine einzige mit 20 Euro mehr da als vorher und eine mit 5, während alle anderen mehr Geld eingesetzt als bekommen hatten. Betrachtet man Geld als Ausdruck von Wertschätzung, ergibt sich aus der Übung, dass Frauen es normal finden, mehr Wertschätzung zu geben als zu bekommen.
Finden Männer es normaler, etwas zu bekommen, ohne Gleichwertiges zurückzugeben?
Die Männer sagten zwar, „hm, ich habe mich nicht gut gefühlt, das Geld anzunehmen“, aber sie haben es getan und rein faktisch nichts dabei gefunden, von Frauen mehr Leistung anzunehmen als ihnen zu geben.
Frauen umgekehrt fühlten sich nicht gut dabei, mehr Geld zu haben, auch wenn ihnen objektiv klar war, dass das Verhältnis von Geben und Nehmen dann unausgewogen war. Ich habe einige Äußerungen von Frauen im Ohr wie: „Ich war enttäuscht, weil ich keine Gegenleistung bekam“, oder: „ich habe dann aufgehört, über Geld nachzudenken“, „Es war eben ein Spiel“.
Das Leitungsteam analysierte mit den Teilnehmer*innen zusammen, welches Gefühl das Geben oder Nehmen jeweils bei ihnen ausgelöst hatte und ermutigte sie, sich damit zu lieben und zu akzeptieren. Und natürlich ermutigte es sie auch, die Verantwortung für ihren Umgang mit Geld zu übernehmen. Und zu hinterfragen, welche individuellen Konzepte beim jeweiligen Umgang mit Geld mit rein spielten.
Was kaum thematisiert wurde, war das gesellschaftliche Konzept von Geld und Verdienst und die Frage: „Wie gehen Frauen und Männer mit Geld um?“ Und wie werden Beiträge von Männern und Frauen bewertet?
Schätzen Frauen ihre eigene Leistung als weniger wert ein als Männer?
Mir scheint, dass die Unterschiede in unserer Gruppe aus einer gesellschaftlich eingeprägten Haltung zu Geld und zur dahinter stehenden Leistung resultierten. Die unterschiedlichen Maßstäbe, die gesellschaftlich an die Leistungen von Frauen und Männern gelegt werden, beeinflussen in hohem Maße ihr Verhalten und die Bewertung ihres Gebens und Nehmens.
Ungleichbehandlung wird nicht als solche erkannt, weil man sie als so normal wahrnimmt
Ich glaube, dass die Männer in meiner Selbsterfahrungsgruppe vor allem deshalb kein Problem hatten, mehr zu nehmen als zu geben, weil sie auf Anhieb gar kein Ungleichgewicht erkennen konnten.
Dass zwischen ihrer Leistung als Männer und der Leistung der Frauen eine Diskrepanz klafft, merkten die Gruppenteilnehmer erst, als tatsächlich Scheine ausgetauscht wurden. Weil sie aber eventuell so daran gewöhnt waren oder sind, dass ihnen mehr Geld zusteht als Frauen, nahmen sie es trotz eines gewissen Unbehagens hin, mehr Geld von Frauen zu bekommen als Frauen Geld zu geben.
Umgekehrt waren oder sind Frauen so daran gewöhnt, dass ihre Leistung weniger wert ist als die der Männer, dass sie sich sogar damit abfanden oder aktiv dazu beitrugen, dass die Männer am Ende mehr Geld hatten als die Frauen.
Wenn jeder an sich denkt, ist eben nicht an alle gedacht
Was mein Gerechtigkeitsempfinden besonders störte, was, dass das Leitungsteam die Männer in der Gruppe sogar noch ermutigte, sich trotz ihres Unbehagens gut zu fühlen, auch wenn sie mehr nahmen als gaben. So blieb von der Übung die schale Erkenntnis über: Nehmen ist seliger denn geben und wenn du mehr gibst, als du nimmst, bist du selbst schuld. Nach dem Motto „warum hast du auch nicht an dich zuerst gedacht?“
Natürlich ist es grundsätzlich richtig, die Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen, aber es wäre definitiv keine Lösung, wenn nun alle akzeptieren lernten, nur zu nehmen, ohne zu geben. Jede Gemeinschaft lebt davon, dass die Menschen das Geld, das sie bekommen, weitergeben, und tendenziell nach dem Motto leben „first give, then take“.
Eine Gesellschaft funktioniert besser mit einem first give then take
Dieses „jedem-Einzelnen-die-Verantwortung-geben“ beißt sich mit dem Verantwortungsgefühl, das unsere Gesellschaftsordnung braucht und traditionell vor allem Frauen zuweist. Von Frauen wird traditionell und auch heute noch erwartet, dass sie mehr und mehr ohne Bezahlung geben als Männer.
Unsere patriarchale Gesellschaftsordnung schätzt die Care-Arbeit, die meist Frauen verrichten, finanziell gering oder bezahlt sie gar nicht – wie die private Erziehungs- und Hausarbeit. Deshalb haben Männer und in der Folge auch Frauen selbst kein Problem damit, die Arbeit von Frauen als selbstverständlich und nicht als geldwerte Leistung anzusehen. Kommt es dann zu einer Trennung, sind Ehemänner zuweilen bass empört, dass die Frauen jetzt auch noch „ihr“ Geld wollen.
Wer Kindererziehung finanziell unter den Tisch fallen lässt, wertet Leistungen von Frauen insgesamt ab
Die Geringschätzung überträgt sich jedoch auf die Bewertung von der Arbeit von Frauen insgesamt. Deshalb wird es als normal angesehen, dass Kita-ErzieherInnen einen Hungerlohn bekommen, Hebammen aufgeben müssen, wenn sich die Versicherungsprämien erhöhen und Frauen, die sich einen Wolf geschuftet haben, aber nie „erwerbstätig“ waren, im Alter Pfandflaschen sammeln müssen.
#Coronaeltern schreiben Rechnungen für Care-Arbeit #CoronaElternRechnenAb
Die große Herausforderung, die unsere Gesellschaft meistern muss, ist, wie sie CARE-Arbeit finanziell wertschätzt und dafür sorgt, dass sie geleistet werden kann.
Jetzt, in der Coronakrise beginnen Frauen erstmals in der Geschichte, der Landesregierung Rechnungen zu schreiben für all die Arbeit, die sie wegen der Schul- und Kitaschließungen on top hatten, berichtet das Online-Frauenmagazin Edition F. #CoronaElternRechnenAb:
(Frauen-)Arbeit in Haus und Erziehung muss als geldwerte Leistung anerkannt werden
Eva Engelken
Die Corona-Rechnungen finde ich völlig gerechtfertigt. Ich halte es nämlich ohnehin schon für einen Skandal, dass ich als Frau trotz all der vielen (unbezahlten) Arbeit, die ich mit meinen drei Kindern hatte, als sie kleiner waren, und die jetzt noch nicht vorbei ist, genau eins erreicht habe: Eine im Vergleich zu Menschen, die nur gegen Geld gearbeitet haben, viel niedrigere Rente. Und dass die Tatsache, dass ich überhaupt eine Rente habe, daran liegt, dass ich Jahrzehntelang wie eine Irre geknüppelt habe, um die so leichthin als „Doppelbelastung“ bezeichnete Multibelastung durch Kinder, Jobs, Haus, Social Life und Mental Load und was der Etiketten noch mehr sind, zu wuppen. Dieses Mehrarbeit wird nicht dadurch ausgeglichen, dass ein Partner mehr verdient. Und wenn man sich trennt, findet erst recht kein adäquater Ausgleich statt. Diesen Ausgleich muss die gesamte Gesellschaft leisten.
Die Gesellschaft braucht mehr Gemeinschaftskonten
In unserer Gesellschaft ärgern sich die Kinderlosen oft, wenn sie steuerlich stärker zur Kasse gebeten werden als Familien mit Kindern. Dabei zahlen sie mit ihrem höheren Beitrag nur ihren Teil in ein Gemeinschaftskonto ein und verteilen den Reichtum gerechter. Solch ein Gemeinschaftskonto hätte auch bei unserer Gruppenübung geholfen, das Gefühl „Ich bin die Dumme“ aufzuheben. Es wird Zeit für unsere Gesellschaft, viel mehr solcher Gemeinschaftskonten einzurichten.
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