Meistens gehen in meinem Leben genau die Türen auf, hinter denen ich finde, was ich gerade brauche. So stieß ich an einem Abend auf den Blog Suedelbien der patriarchatskritischen radikalen Feministin Kirsten Evers , als ich erschöpft von einer unschönen Begegnung mit grünen sogenannten Parteifreundinnen zurückkam. Sie weigerten sich, die frauenfeindliche Kehrseite grüner Politik zu sehen und fanden es unangemessen, dass ich Anträge stellte und diesen Blog hier betreibe. Weil ich kein Einzelfall bin, und weil jeder Frau Gegenwind entgegenbläst, die es im Jahr 2022 wagt, entgegen dem woken Mainstream nicht für alles und jeden, sondern für Frauenrechte einzustehen, habe ich Kirsten Evers nach Erklärungen gefragt.
E Liebe Kirsten, du schreibst in deinem Blog Suedelbien, dass eine Auswirkung des seit ungefähr achttausend Jahren existierenden Patriarchat sei, dass Frauen benachteiligt seien, und dass sie deshalb für ein besseres Leben um die Gunst der Männer konkurrieren und daher nur schwer untereinander solidarisch sein können. Wann und wie zeigt sich das typischerweise?
K Kirsten Evers: Es zeigt sich immer dann, wenn Frauen untereinander in Konflikt geraten, weil eine bei der anderen in irgend ein Fettnäpfchen getreten ist, sprich, einen wunden Punkt getroffen hat. Dann rutscht die Sachebene sofort auf die Beziehungsebene ab und es werden Dinge persönlich genommen, die gar nicht so gemeint waren. Das passiert leider sehr häufig, auch auf sozialen Netzwerken wie Twitter, und es kann dann ganz schnell gehen. Das ist das eine.
Frauen legen den Frauen Steine in den Weg, die sich im Fraueninteresse für sie einsetzen
Das andere ist, dass Frauen gelernt haben in all den Jahrtausenden, mit ihren Unterdrückern, also Männern, zu kooperieren. Oft waren Frauen ja in unter Männern ausgetragenen Kriegen die Beute der Sieger. Frauen haben gelernt, zu erkennen, ob es besser ist, mit diesen zu kooperieren oder zu fliehen bzw. aufzubegehren. Letzteres war den Frauen oft gar nicht möglich, also ertrugen sie das, was die (fremden) Männer mit ihnen anstellten, sie z. B. vergewaltigten, um schlicht zu überleben. Wir haben dieses Verhalten, still zu halten, derart eingeübt, dass es uns gar nicht mehr bewusst ist. So kommt es oft vor, dass Frauen, die sich gegen übergriffige Männer wehren, ausgerechnet von anderen Frauen angegangen werden. Diese merken nicht, dass sie ihren Geschlechtsgenossinnen massiv in den Rücken fallen.
„Warum bist du denn so undankbar, der Mann wollte dir doch helfen!“
Ich möchte hier mal zwei Beispiele aus meinen Erfahrungen nennen:
- In einer Gruppe, Männer und Frauen gemischt, sollte ein Film angesehen werden, ich hielt die Fernbedienung und wollte damit die DVD starten. Doch sie funktionierte zuerst nicht. Sofort wollte mir einer der Männer die Fernbedienung aus der Hand nehmen, weil er meinte, er könne es besser. Ich wehrte mich, der Mann war beleidigt und murmelte »Frag mich in einer Stunde noch mal!«. Ich bekam es aber hin, der Film fand statt. Später aber habe ich den Vorfall zur Sprache gebracht. Da fielen mir ausgerechnet zwei Frauen in den Rücken: Ich hätte ihn angeblafft, er hätte mir ja nur helfen wollen, wie ich denn so undankbar sein und seine angebotene Hilfe abweisen konnte. Damals fiel ich noch aus allen Wolken, heute weiß ich, dass dieses Verhalten aus der patriarchalen Sozialisation stammt.
- Ein anderes Beispiel fand in einer reinen Frauengruppe statt. Ich wollte aus der Gruppe aussteigen, weil ich meinte, der Zeitpunkt sei für mich gekommen, und schilderte dazu eine Vision, die ich hatte: Ich sah alle Frauen, auch mich, im Kreis in Käfigen sitzen. Bei manchen war die Tür des Käfigs schon offen, einige setzten einen Fuß hinaus, bei einigen war die Tür noch zu, während ich selbst dabei war, aus dem Käfig auszusteigen. Als ich diese Vision geschildert hatte, kamen heftige Reaktionen von den anderen Frauen, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Wie ich so vermessen sein könne, sie in Käfige zu stecken, und ich säße ja selber noch drin etc. Ich wurde beschimpft und verurteilt. Ich fühlte mich regelrecht an den Pranger gestellt. Auch hier war ich aus allen Wolken gefallen. So verließ ich die Gruppe leider nicht im Guten.
Vereitelte Flucht aus dem Krabbenkorb: Statt sich gemeinsam aus der männlichen Vormacht heraus zu kämpfen, ziehen Frauen sich gegenseitig wieder in den Krabbenkorb hinunter
Eva Engelken: Nun konkurrieren die Vorständinnen meines grünen Kreisverbandes und ich ja nicht unmittelbar um die Gunst ein und denselben Mannes. Wir konkurrieren noch nicht einmal um ihre Posten, an denen mir nicht das Geringste liegt. Mir geht es darum, meine Ideen zu verbreiten. Würdest du trotzdem sagen, hier findet ein durch patriarchal geprägte Strukturen geprägter Konkurrenzkampf statt?
Kirsten Evers: Ja, und er läuft unbewusst ab. Es gibt ein Phänomen, das dies sehr gut beschreibt: Die Krabbenkorb-Metapher. Sie besagt, dass in einem Korb gefangene Krabben aus dem Korb entfliehen könnten, wenn die nach oben gestiegenen Krabben nicht ständig von den unteren wieder nach unten gezogen würden. So verhalten sich oft auch Frauen in einem beruflichen Umfeld: Anstatt gemeinsam an einem Strang zu ziehen, gegen die überwiegend männlich besetzten Führungs- und Vorstandspositionen zu agieren, behindern sie sich gegenseitig. Sie versuchen, die Gunst der meist männlichen Vorgesetzten zu gewinnen, weil sie sich von ihnen Förderung erhoffen, und gleichzeitig ihre Kolleginnen abzuwehren. Sitzen sie dann tatsächlich auf einer höheren Position, erleben sie, dass sie sich nach den von oben vorgegebenen Spielregeln richten müssen, selbst wenn es sich um ungeschriebene Regeln und Tabus handelt. Dies beinhaltet auch, auch wenn es natürlich nicht offen ausgesprochen wird, weibliche Mitarbeiterinnen möglichst unten zu halten.
Natürlich ist das nicht immer so, aber leider sehr oft, und ich habe es oft genug in meiner eigenen beruflichen Laufbahn erlebt. Dein Erlebnis mit der Kreisverbandsvorsitzenden zeigt, dass sie offenbar nicht bereit ist, eine Frau mit eigenen Ideen vorbehaltlos zu akzeptieren geschweige denn zu fördern, denn sie erlebt vermutlich dein eigenständiges und autarkes Verhalten als Versuch, in Konkurrenz mit ihr zu gehen. Es kann sein, dass sie keine »größeren« Frauen neben sich duldet, denn sie ist schließlich die Vorsitzende, also natürlich auch Kompetentere.
Oft spielen Neid oder unbewusste Ängste eine Rolle: „Die nimmt sich was heraus, was ich mir nicht (zu)trauen würde, dafür disse ich sie jetzt“
Außerdem könnte auch Neid eine Rolle spielen, und zwar auf deine Fähigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Eine Fähigkeit, die sie entweder nicht hat oder sich selbst nicht erlaubt, sie zu haben. Ferner ist sie, da sie eine Vorsitzende in einer Partei ist, die eine bestimmte Linie vertritt, verpflichtet, auf dieser Linie zu sein. Im Falle des Selbstbestimmungsgesetzes muss sie also das Mantra vertreten, jeder, der sich zur Frau erkläre, sei eine Frau. Würde sie sich offen dagegen aussprechen, würde sie womöglich ihre Position gefährden, jedenfalls steckt vermutlich zumindest die Angst dahinter. Diese rigiden Verhaltensmuster, die unbewussten Ängste, Glaubenssätze und Überzeugungen, die tief verinnerlicht sind, sind viel stärker als jede Tatsache und jede Logik.
Frauen spalten Bedürfnisse ab und solidarisieren sich mit anderen marginalisierten Menschen, aber nicht mit sich selbst
Eva Engelken: Der Anspruch, den Frauen an das Verhalten anderer Frauen anlegen, scheint mir viel strenger zu sein als der Anspruch, den sie an Männerverhalten anlegen. Umgekehrt wird selbst hochgradig aggressives Männerverhalten noch entschuldigt. Als ich im Telefonat mit der mittlerweile zur grünen Bundesvorsitzenden Ricarda Lang die Beleidigungen grüner Transfrauen erwähnte, sagte sie wortwörtlich: „Für die muss man Verständnis haben, die haben eben so viel Frust aushalten müssen.“ Ist das auch mit patriarchalen Verhaltensmustern erklärbar? Was genau passiert hier?
Kirsten Evers: Es ist eine Form von kooperativem Täterschutz. Während Frauen seit Jahrtausenden Abwertungen, Demütigungen, Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung erfahren haben, war es ihnen nicht möglich, dagegen aufzubegehren, beziehungsweise wenn sie es taten, hatten sie mit zum Teil schlimmen Sanktionen zu rechnen. Frauen verlernten es, für ihre Belange einzustehen und das zu fordern, was ihnen zustand. So spalteten sie diese Bedürfnisse ab, solidarisierten sich mit anderen marginalisierten Menschen, nur nicht mit sich selbst. Eigentlich sind Frauen sehr empathisch, und natürlich haben Transmenschen aufgrund ihres ohne Frage vorhandenen Leids Empathie und Anteilnahme verdient. Diese sind Frauen durchaus bereit zu zeigen, doch hier wird sie von Aktivisten schamlos ausgenutzt.
So kommt es, dass Frauen mit zweierlei Maß messen:
Männern wird vieles zugestanden, was Frauen nicht zugestanden wird. Weil sie es sich selbst nicht zugestehen. Sie können ihren Geschlechtsgenossinnen nicht ein Verhalten zugestehen, das sie an sich selbst verurteilen, und zwar unbewusst.
Diesen Mechanismus habe ich sehr oft erlebt und erlebe ihn immer noch, z. B. auf Twitter. Auch unter Frauen, die sich thematisch komplett einig sind. Alle Menschen im Patriarchat, auch die Frauen, tragen unreflektierte Anteile in sich, und zwar je unbewusster, desto mehr. So passiert es, dass eine Frau etwas schreibt, was bei einer anderen etwas auslöst, weil sie es ähnlich schon einmal erlebt hat oder sie an ein altbekanntes Muster erinnert. Sofort nimmt sie Tweets persönlich, fängt an, Unterstellungen zu formulieren, vergreift sich im Ton, und am Ende steht der Block.
So ein Verhalten gerade unter gleichgesinnten Frauen ist natürlich nicht hilfreich, denn es spaltet statt dass es eint. Leider ist dieses Verhalten ein absolutes Tabu, denn es steht der Illusion der Solidarität einer bestimmten Frauengruppe, z. B. den radikalen Feministinnen, entgegen. Tabus aber wirken im Untergrund und verhindern nachhaltig eine echte Solidarität, einen echten Zusammenhalt, einen echten Umgang auf Augenhöhe. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass wenn sich Frauen thematisch einig sind, es keine Konflikte mehr unter ihnen geben kann und die Kommunikation ein Leichtes ist.
Frauen können sehr solidarisch sein, wenn sie sich ihrer eigenen Stärke und ihres Werts bewusst werden
Eva Engelken: Sind Frauen deiner Meinung nach trotz der patriarchalen Prägung zu echter Solidarität untereinander fähig? Und wenn ja, welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit sie es sind?
K Kirsten Evers: Ich glaube schon, denn unsere natürliche Soziologie, die Matrifokalität, ist uns ja nach wie vor angeboren. Erst das Patriarchat hat uns Frauen davon abgebracht, mit uns selbst solidarisch zu sein, denn in diesem haben wir ja gelernt, dass Weiblichkeit nichts wert ist. Außerdem sorgt das Patriarchat bis heute für die Vereinzelung der Frauen, da sie gezwungen sind, sich an einen einzigen Mann zu binden, sich mit der Ehe in Patrilokalität zu begeben. Wir haben also auch verlernt, uns untereinander auszutauschen.
Wären sich die Frauen ihres Selbstwertes bewusst, hätten sie keinen Grund mehr, sich aufzuwerten, in dem sie andere Frauen abwerten.
Aber jahrtausendelange Unterdrückung und Abwertung wiegen sehr schwer. Die daraus resultierenden Überlebensstrategien wurden von einer Generation an die nächste vererbt (emotionales Erbe), und werden diese angelernten Verhaltensmuster nicht hinterfragt und aufgearbeitet, werden sie unweigerlich an die nächste Generation weiter gegeben.
Voraussetzung ist also, dass Frauen anfangen, ihre eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen und aufzuarbeiten, mit anderen Worten, sie sich bewusst zu machen. Das tun aber (derzeit) die wenigsten. Am ehesten die mit dem größten Leidensdruck, die sich oft in psychiatrische Behandlung begeben. Ich selbst war jahrelang in einer von einer Psychotherapeutin geleiteten Frauengruppe und habe in dieser Zeit sehr viel über mich selbst, meine Familie und die zwischenmenschlichen Dynamiken gelernt.
Damals habe ich meine Erkenntnisse in eine Website fließen lassen, die auch noch existiert: www.schafmatt.de. Hier projiziere ich die Familie auf eine Schafherde, in der es weiße, graue und schwarze Schafe gibt. Ich selbst sah mich damals als schwarzes Familienschaf. Das war leidvoll, doch am Ende bin ich froh über die Erfahrungen, die ich gemacht habe, so konnte ich nach und nach viele Dinge durchschauen.
Der Schlüssel zur Überwindung patriarchaler Strukturen ist die Selbstreflektion
Ich weiß heute, dass das Patriarchat in den Köpfen sitzt, und genau dort muss es auch angegangen werden. Weil alle Menschen im Patriarchat patriarchal denken, handeln sie auch patriarchal. Das muss bewusst werden, und das geht nur durch Veränderung im Inneren. Weil die Frauen am meisten unter dem Patriarchat leiden, kommt es ihnen gar nicht in den Sinn, dass sie selbst sich ja ebenfalls patriarchal verhalten. Ich halte daher für alle, die das Patriarchat letztendlich abschaffen wollen, ein gewisses psychologisches Know-How für sehr wichtig.
Leider habe ich festgestellt, dass selbst die Frauen, die sich noch weitaus intensiver als ich mit der Geschichte des Patriarchats beschäftigt haben, nicht hinreichend darüber verfügen, weshalb es auch in diesen Reihen nicht ausblieb, dass sogar unüberwindbare Konflikte entstanden.
E Eva Engelken: Beim Transgenderthema, aber auch bei den Themen Prostitution oder Leihmutterschaft gibt es ja erfreulicherweise etliche Männer, die die Partei von Frauen ergreifen. Wie beurteilst du diese Männersolidarität? Was hältst du davon? Anders als Frauen riskieren sie damit, so zumindest meine Beobachtung, deutlich seltener Gegenwind als Frauen. Im Gegenteil, Frauen nehmen sie für ihren Support sogar in Schutz. Konkretes Beispiel dazu: Als ich im September 2020 für meinen BDK-Antrag gegen das Selbstbestimmungsgesetz die Stimmen von zwei Männern eingeworben hatte, entschuldigten die selben Frauen, die mich für meinen Antrag verbal an die Wand stellten, die Männer mit den Worten: „Das haben die nur gemacht, weil die die Eva nett fanden.“ Da schwang so etwas mit wie „die konnten nicht anders, weil die hat denen den Kopf verdreht.“
K Kirsten Evers: Unterstellungen von Frauen, dass Männer andere Frauen nur supporten, weil sie von ihnen um den Finger gewickelt wurden, sind im Grunde nichts anderes als patriarchale Täter-Opfer-Umkehr. Schuld ist immer die Frau, niemals der Mann, auch und gerade aus Sicht von unreflektierten Frauen.
Wir Frauen haben unsere Abwertung so sehr verinnerlicht, dass wir gewohnt sind, auf unsere Geschlechtsgenossinnen, die in irgend einer Weise gut mit Männern klar kommen oder ihren Zuspruch erhalten, argwöhnisch herab zu blicken und ihr irgend ein intrigantes Spiel unterstellen. Frauen wurden jahrhundertelang verteufelt, ihnen wurden böse Absichten unterstellt, bis sie es schließlich selbst glaubten.
Auch hier zeigt sich wieder das latente Konkurrenzverhalten gegenüber den eigenen Geschlechtsgenossinnen und der Neid, dass eine Frau den Zuspruch der Männer erhält, sie selbst aber nicht. Dann noch ausgerechnet die Frau, gegen die sie vorher angegangen sind. Diese Frau wird durch den Männerzuspruch plötzlich aufgewertet, und das ist für manche Frauen nicht zu ertragen. Also wird weiter abgewertet im Sinne der patriarchalen Frauenverachtung: Frauen erreichen bei Männern nur dann was, wenn sie ihnen zu Diensten sind, und nicht ihrer Kompetenz oder der Sache wegen.
Zum Glück gibt es immer mehr Männer, die erkannt haben, dass Frauen weltweit permanent ausgebeutet werden wie in der Prostitution und bei Leihmutterschaft. Aber gerade beim Transgenderthema ist es wohl so, dass sie sich selbst betroffen fühlen, weil es Männer sind, die sich plötzlich als Frau definieren wollen. Möglicherweise fühlen sich manche davon verschaukelt, oder sie ertragen einfach die Dummheit der Ideologie nicht, die dahinter steht.
Um die Väterherrschaft zu überwinden, sollten Frauen auf Frauenbündnisse setzen
Wir Frauen bekommen deshalb so viel Gegenwind, weil es um unsere ureigensten Belange geht, um die wir schon lange kämpfen, wie geschützte Räume oder Abschaffung der Prostitution. Dabei wurde und wird Frauen weniger zugehört als Männern. Kommen Männer also mit denselben Themen, wird ihnen Aufmerksamkeit zuteil. Ich halte dies für eine der lästigen eingefahrenen Gewohnheiten patriarchaler Menschen.
Eva Engelken: Tun sich Frauen einen Gefallen, wenn sie in ihren Gruppierungen Männer mit aufnehmen? Oder laufen sie dann automatisch wieder Gefahr, sich vor einem männlichen Gockel aufspielen zu müssen?
Kirsten Evers: Männer haben in Frauengruppierungen nichts zu suchen. Es ist eigentlich ganz klar: Der Feminismus ist die Befreiungsbewegung von Frauen für Frauen, geht Männer nichts an und exkludiert sie daher. Der liberale Feminismus tut das ja nicht, er nennt sich intersektional, schließt alle möglichen anderen Gruppen mit ein und lässt sich dafür feiern. Von wem? Letztendlich vom Patriarchat, denn es spielt diesem in die Hände, wenn Männer über Frauenbelange mitentscheiden dürfen. Daher ist es für radikale Feministinnen nur konsequent, Transfrauen, also Männer, auszuschließen. Der männliche Gockel, der allen Frauen erklärt, was Sache ist oder wo es längs geht, ist ja keine Seltenheit, kommt gerade in der Arbeitswelt oft vor. Den brauchen Frauen nicht in ihren eigenen Reihen, daher: Nein, sie tun sich keinen Gefallen, Männer in ihre Gruppierungen zu lassen.
Eva Engelken: Wie bist du persönlich zu dem Thema Patriarchatskritik gekommen?
Kirsten Evers: Bevor ich das Patriarchat als solches in den Fokus bekam, beschäftigte ich mich mit der Gesellschaft, in der wir leben. Ich habe dazu einige gesellschaftskritische Bücher von Autorinnen gelesen, die mir mehr und mehr klar machten, dass das, was ich so als Frau und Mutter erlebte, systemisch bedingt ist. Dann entdeckte ich die Veröffentlichungen von Kirsten Armbruster, die sich selbst als Patriarchatsforscherin bezeichnet, ein Begriff, der mir neu war und der auch im Netz überhaupt nicht verbreitet war. Durch persönliche Erfahrungen mit ihr habe ich mich aber von ihr distanziert. Später dann durch die Bücher von Gerhard Bott »Die Erfindung der Götter«, in denen er sehr klare Definitionsarbeit leistet . Auch Christa Mulack+ hat erhellende Bücher zu dem Thema geschrieben. Ich lernte später einige andere Frauen kennen, die auch Bücher und Blogs veröffentlichen, von denen ich sehr viel gelernt habe und mit denen ich in engem Austausch stand, bis auch hier die Begegnung durch Missverständnisse, Projektionen und daraus resultierenden Konflikten leider abrupt beendet wurde.
–>> Rona Duwe Muttermut Mutterwut
Eva Engelken: Was empfiehlst du Frauen wie mir, die sich selbst gegenüber anderen Frauen solidarisch verhalten wollen – womit soll ich, womit sollen wir anfangen? Auf deinem Blog Suedelbioen empfiehlst du Selbstreflexion. („Selbstreflexion – wie geht das eigentlich?“)
Kirsten Evers: Genau damit. Selbstreflexion halte ich für die wichtigste Aufgabe aller Menschen im Patriarchat, denn durch ihre Sozialisation haben sie sehr viele Mythen und Ideologien, Überzeugungen und Glaubenssätze aufgeschwatzt bekommen, die sie auch persönlich betreffen, und es fängt schon in der Kindheit an. Kinder nehmen alles völlig unvoreingenommen auf, aber es wird ihnen oft schon früh die Wahrnehmung abtrainiert, besonders den Mädchen.
Es ist harte Arbeit, sich in Selbstreflexion zu üben, die auch sehr weh tun kann, wenn Wahrheiten ans Licht kommen, mit denen man niemals gerechnet hätte. Ich habe auch im Laufe dieses Prozesses (der übrigens ein Leben lang anhält, man ist nie fertig damit) festgestellt, dass die eingeübten Muster, Verhalten, Annahmen und Überzeugungen enorm stark sind. Sie sind stärker als Logik, stärker als Wissen, sogar besseres Wissen, stärker als der Verstand.
Damit lässt sich auch erklären, warum heutzutage so viele Menschen immer noch und immer wieder den skurrilsten Mythen und Ideologien aufsitzen, und zwar in allen Bereichen. Es gibt Ärzte, die an Homöopathie glauben, Biologen, die an ein Geschlechtsspektrum glauben, Hebammen, die an Steinheilung glauben, KünstlerInnen, die an Aliens glauben, und etliche, die an irgend eine der Religionen glauben, welche nichts anderes sind als politische Theologien (siehe Gerhard Bott). Ihnen alle n ist gemeinsam: Sie glauben. Anstatt zu wissen.
Vielen Dank für deine inspirierenden analytischen Gedanken und die Klarheit deiner Formulierungen, liebe Kirsten!
Weiterlesen auf dem Blog Suedelbien:
- „Malereikram“ von Kirsten Evers: Malereikram | Suedelbien (wordpress.com)
- Soundtracks von Kirsten Evers, z.B. Musik? | Suedelbien (wordpress.com)
- Viele kluge, patriarchatskritische Gedanken mehr: Suedelbien | Gelegenheitsbloggerin. Kann Spuren von Leidenschaft enthalten. (wordpress.com)
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