Simone Harland kenne und schätze ich seit langem, unter anderem für ihren Kindle-Bestseller „Show, don’t tell“, den jeder schreibende Mensch auf seinem Schreibtisch haben sollte. Als mir auffiel, wie klar, wertschätzend und ausgewogen sie in Diskussionen auf Twitter oder in Gesprächen ihre Meinung zum Mantra „Transfrauen sind Frauen“ oder zu Vorwürfen à la „du bist so aggressiv“ vertrat, bat ich sie um ein Interview. Herausgekommen sind Einsichten in die Manipulationstechniken von Narzissten und die Gegenstrategien, die vermeintlich „gute Sache“ und warum es gerade Frauen schwerfällt, sich abzugrenzen und warum sie dennoch versuchen sollten. Enjoy!
Liebe Simone, wir kennen uns aus einem gemeinsamen Netzwerk . Das Thema „Self-ID“ oder „Trans“ hat in den vergangenen zwei Jahren zwischen einige von uns Netzwerkfrauen einen Keil getrieben. Auf der einen Seite stehen die Frauen, die all jene, die sich unter dem Label Trans versammeln, für ausgegrenzt und schutzbedürftig halten, und die jegliche Kritik am Transgenderkonzept ablehnen. Auf der anderen Seite stehen Frauen, die das biologische Geschlecht für real halten und auf das Mantra „Transfrauen sind Frauen“ entgegnen: „Transfrauen sind Männer.“ Dafür werfen ihnen die anderen Frauen zu, sie seien „transfeindlich“, „hasserfüllt“ oder „rechts“, zumindest aber „zu radikal“ oder „zu aggressiv“. Du bist bei denen, die zum Beispiel auf Twitter immer klarer zu erkennen geben, dass sie das ganze Transgenderkonzept ablehnen. Kann man das so sagen, und wenn ja, warum lehnst du es ab?
SH: Ich denke, dass es Menschen gibt, die sich falsch in ihrem Körper fühlen. Wie sollte ich diese Menschen ablehnen? Jeder Mensch hat das Recht auf die eigenen Gefühle, die eigene Wahrnehmung von sich selbst. Ich lehne jedoch die Auswüchse ab, die das Transgenderkonzept mittlerweile genommen hat: a) Gefühle (auch gesetzlich) über biologische Fakten stellen zu wollen und b) so zu tun, als gäbe es nur eine Wahrheit – und wer der nicht folgt, ist schlecht.
„Frauen einzureden, die eigene Wahrnehmung zu ignorieren und die „genehme“ zu übernehmen, ist Gaslighting“
Wenn meine Wahrnehmung eine andere ist, wenn ich das von Transaktivisten ständig wiederholte Mantra nicht kritiklos übernehme, wird mir vorgeworfen, dass ich andere ausgrenze. Mir wird zudem nahegelegt, dass ich, bitteschön, tolerant und nett zu sein habe, dass ich nur eine bestimmte Form der Sprache verwenden darf, sonst würde ich nicht nur die Gefühle anderer verletzen, sondern menschenfeindlich agieren. Mir soll also eingeredet werden, meine eigene Wahrnehmung zu ignorieren und die „genehme“ zu übernehmen. Das ist Gaslighting, eine Taktik, die Menschen das glauben machen soll, was ihnen mithilfe verschiedener Manipulationstechniken eingeredet wird. Diese Taktik ist oft ein Kennzeichen von toxischen Beziehungen, wird jedoch auch in Sekten oder totalitären Systemen angewendet, um das Gegenüber „auf Linie“ zu bringen. Denn wer seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr vertraut, ist leicht zu manipulieren und zu kontrollieren.
Ein Set an Manipulationstechniken ist nötig, um das Gegenüber auf Linie zu bringen
Beim Gaslighting kommen verschiedene Manipulationstechniken zum Einsatz:
- So soll die Behauptung, dass so viele andere die vermeintlich falsche Wahrnehmung nicht teilen, Menschen, die nicht die „gewünschte“ Meinung vertreten, klarmachen, dass sie sich in der Minderheit befinden und somit falsch liegen. Doch eine Behauptung, die nicht belegt wird, wird nicht wahrer dadurch, dass sie man sie ausspricht.
- Oft wird sich über die andere Meinung lustig gemacht, sie wird somit abgewertet. Die Person, die ihre Meinung geäußert hat, möchte jedoch, dass ihre Meinung ernst genommen wird. Sind andere dazu nicht bereit, ruft das in der Regel negative Gefühle hervor. Dieser innere Druck kann dazu führen, dass die angegriffene Person ihre Meinung infrage stellt und sich auf die Seite der anderen schlägt, weil sie es nicht aushält, dass andere sich über ihre Meinung und damit indirekt auch über sie lustig machen. Damit stellt sie ihre „innere Ordnung“ wieder her.
- Gerne wird auch die psychische oder körperliche Gesundheit des „widerständigen“ Gegenübers infrage gestellt, um es daran zweifeln zu lassen, dass es „richtig“ funktioniert.
- Zu den Manipulationstechniken gehört zudem das Infragestellen der anderen Person durch direkte Angriffe wie „Du bist …-phob“ (hier bitte irgendetwas einsetzen). Damit wird die Person diskreditiert und in eine Ecke gestellt, in der sie sich nicht sieht bzw. auch nicht zwangsläufig befindet.
- Drohungen und Einschüchterungen tun dann womöglich ihr Übriges, die eigene Meinung infrage zu stellen, die eigene Wahrnehmung zu ignorieren.
… oder man appelliert an die Frauen, dass es doch um eine gute Sache ginge wie zum Beispiel den Schutz unterdrückter Menschen
Das sind nur einige Techniken, es gibt es noch vieles andere. Zum Beispiel, permanent zu wiederholen, dass es doch um eine vermeintlich gute Sache geht, dass man – wie in diesem Fall – unterdrückten Menschen helfen muss. An dieser Stelle wird an das gute Gewissen appelliert, denn schließlich möchte man ja „auf der richtigen Seite“ stehen. Als Folge negiert man dann womöglich seine eigene Wahrnehmung, denn es ist nicht einfach, die eigene Wahrnehmung beizubehalten, ist man diesen Techniken ausgesetzt.
All diese Techniken wenden die Aktivisten in der Transgender-Diskussion an. Geschieht so etwas, werde ich hellhörig. Vor allem, wenn diese Techniken Argumente ersetzen.
„Ich werde hellhörig, wenn ich diese Techniken in der Transgender-Diskussion erkenne“
Noch einmal: Ja, es gibt Menschen, die sich im falschen Körper fühlen. Auch dass diese Menschen Unterstützung verdienen, erkenne ich an. Doch die derzeitigen Bestrebungen mit Self ID, dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz, Gefühle (ein gefühltes Geschlecht, Gender genannt) über biologische Fakten (das biologische Geschlecht) zu stellen, lehne ich ab.
Selbstbestimmungsgesetz ist übrigens ein klug gewähltes Wort, denn selbstbestimmt leben möchte jeder. Wer es hört, denkt sich daher erstmal, dass das eine gute Sache sein muss, und beschäftigt sich womöglich nicht mit den Inhalten des Gesetzes.
Simone Harland
Die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen plant mit diesem Gesetz, dass es ausreichen soll, sich als anderes Geschlecht zu identifizieren, um als Mann, Frau oder divers zu gelten. Einmal im Jahr sollen Menschen die Möglichkeit bekommen, ihren Personenstand, sprich: ihr Geschlecht, beim Standesamt nur durch Selbstauskunft ändern zu lassen. Das heißt: Jeder Mensch kann in einem Jahr Frau, im nächsten Jahr Mann sein – und andere müssen ihn demnach nicht nur als Frau/Mann bezeichnen, sondern auch behandeln. Dafür muss übrigens niemand körperliche Merkmale ändern (lassen). Es bedarf also keiner geschlechtsangleichenden Eingriffe, sei es Hormontherapie oder Operationen, um als Mann oder Frau gesetzlich anerkannt zu werden.
Es geht weiter: Sollte ein anderer Mensch die unter Umständen ausschließlich per Sprechakt transitionierte Person falsch anreden (also etwa als Herr, statt als Frau), könnten den bisherigen Gesetzesentwürfen zufolge Geldstrafen im vierstelligen Bereich fällig werden.
Das geplante Self-ID-Gesetz betreibt Gaslighting, in dem es Frauen zwingt, gegen ihre eigene Wahrnehmung zu handeln
Nun schließt sich der Bogen zu dem, was ich anfangs gesagt habe: Wenn ich die andere Person als Mann wahrnehme, sie sich jedoch als Frau identifiziert, steht ihre Wahrnehmung als Folge von Self ID über meiner. Ich bin damit unter Umständen gezwungen, gegen meine eigene Wahrnehmung zu handeln und in der Folge womöglich zu lügen. Hinzukommt: Da das Gesetz vorsieht, dass eine Transperson dann eine Frau ist, wenn sie sich als Frau identifiziert, könnten Frauen rechtlich nichts unternehmen, wenn diese Person mit all ihren unter Umständen nach wie vor vorhandenen männlichen körperlichen Merkmalen die Frauen vorbehaltene Umkleidekabine nutzt oder im Frauenhaus aufgenommen werden will. Auch in sportlichen Wettkämpfen darf sie als Frau antreten. Was das für Probleme mit sich bringt, zeigt zum Beispiel der Fall eines transitionierten Schwimmers in den USA: Lia Thomas, vormals Will Thomas (22), war im Wettkampf 38 Sekunden schneller als die zweitplatzierte Schwimmerin, die als Frau zur Welt kam.
Fragt sich: Ist ein Gesetz in dieser Fassung tatsächlich sinnvoll? Ein Gesetz, das dem Missbrauch Tür und Tor öffnet, allein dadurch, dass durch Sprechakt das Geschlecht einmal im Jahr gewechselt werden kann? Denn dadurch lässt sich auch einfach behaupten, man gehöre dem anderen Geschlecht an. Überprüfen kann das niemand. Seien wir nicht gutgläubig: Es gibt Menschen, die eine solche Möglichkeit ausnutzen, um anderen zu schaden oder sich Vorteile zu verschaffen. Und das sind gar nicht so wenige.
„Kommt es zu Missbrauch, kann sich die öffentliche Meinung schnell gegen Transpersonen stellen“
Hier kommt von Transgender-Aktivisten oft die Frage: Welche Transperson würde denn ihr Geschlecht jährlich wechseln wollen? Die selbstverständliche Antwort: Keine Person, die tatsächlich trans ist. Doch ist dieser Passus im Gesetz dann wirklich sinnvoll? Wofür wird er benötigt? Was soll damit erreicht werden? Hilft das Gesetz in dieser Fassung Transpersonen dann überhaupt oder schadet es ihnen auf lange Sicht sogar?
Kommt es zu Missbrauchsfällen (und die werden durch Trittbrettfahrer kommen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche), kann sich die öffentliche Meinung schnell gegen Transpersonen stellen. Die, die es nicht gebrauchen können, werden als Folge in Sippenhaft genommen mit denen, die das Gesetz ausnutzen und nur so tun, als gehörten sie dem jeweils anderen Geschlecht an, um eigene Ziele zu verfolgen.
Eva Engelken: Wir haben uns darüber ausgetauscht, warum viele Frauen sich fast reflexhaft auf die Seite der Queeren schlagen, und großzügig darüber hinwegsehen, dass es durch die Bank weg Frauen sind, die beschimpft oder verleumdet oder gar bedroht werden. Die Prominenteste dieser Frauen ist die britische Schriftstellerin J.K. Rowling, die seit Juni 2020 massiv beleidigt wird, weil sie darauf hinweist, dass das biologische Geschlecht real sei. Woher kommt dieser Drang von Frauen, sich den meist männlichen Transaktivisten und queeren, also schwulen, Männern so anzudienen?
Ich möchte hier Schwule und Transaktivisten nicht in einen Topf werfen. Denn viele Homosexuelle sind sich mittlerweile bewusst, dass Transaktivisten auch ihnen unter Umständen einen Bärendienst erweisen. Wenn alle in einen Topf geworfen werden, wird sich die öffentliche Meinung auch gegen Homosexuelle richten, sollte es zu Missbrauchsfällen kommen, wenn das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz in der bisherigen Fassung angenommen würde.
Viele kleiden sich betont weiblich und bedienen damit ein Stereotyp, und damit sind wir wieder in den Geschlechterrollen ,die wir eigentlich überkommen wollten
Ich weiß auch nicht, ob sich viele Frauen reflexhaft auf eine Seite schlagen. Es gibt sicher viele Erklärungsansätze dafür, dass die Stimmen der Transaktivisten Resonanz finden. Einerseits möchte man auf der Seite der „Guten“ stehen. Es wird immer vermittelt, dass mit Self ID ja eine gute Sache vertreten werde, die auf Dauer Geschlechterrollen auflösen könne. Ich glaube, dass viele Frauen – und ich vermute, auch Männer – sich das wünschen. Schaut man sich allerdings den Transaktivismus an (und hier unterscheide ich wieder zwischen den Lautsprechern und den Personen, die einfach nur ein gutes Leben haben wollen), werden eher Geschlechterrollen, sprich: Stereotype zementiert. Viele in dieser Gruppe, die sich als Frauen identifizieren, kleiden sich betont weiblich, tragen kurze Röcke, hohe Schuhe und zum Teil starkes Make-up und bedienen damit ein Stereotyp oder vielleicht sogar ihr eigenes Wunschbild, wie eine Frau auszusehen zu sein hat. Und damit sind wir wieder in den Geschlechterrollen, die wir eigentlich überkommen wollten.
Kognitive Dissonanz vermeiden: Man will für die gute Sache kämpfen und verschließt die Augen vor ihren Nebenwirkungen, um sich wieder wohl zu fühlen
Ein weiterer Punkt ist das vermittelte Narrativ, dass es sich bei Transpersonen um Menschen handelt, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Ich glaube, dass insbesondere Frauen nach wie vor auf diesem Ohr besonders gut hören. Viele Frauen sind es aufgrund ihrer Sozialisation gewohnt, andere zu beschützen, zu behüten. Wir wollen zum Beispiel nicht, dass unsere Kinder in der Schule gemobbt werden, weil sie anders sind, wir wollen anderen dieses Leiden ersparen. Das ist ja auch ein guter Ansatz. Nur kann dieses Wohlmeinen eben auch ausgenutzt werden. Hier kommen dann sogenannte kognitive Dissonanzen ins Spiel: Menschen wollen für eine gute Sache kämpfen, werden sie jedoch damit konfrontiert, welche „Nebenwirkungen“ diese gute Sache haben kann, verschließen viele die Augen, weil das mit ihrer Meinung von sich („Wir sind die Guten“) nicht zusammen geht. Damit sind die eigenen kognitiven Dissonanzen aufgelöst und man fühlt sich wieder wohl.
Das oben erwähnte Gaslighting spielt eine weitere große Rolle. Außerdem besteht die Gefahr, beschimpft, ausgegrenzt, bedroht zu werden, wenn man sich kritisch äußert. Der Widerspruch hier: Die Gruppe, die sich als besonders inklusiv bezeichnet, grenzt damit selbst massiv aus. Sie macht genau das, was sie anderen vorwirft, und übersieht dabei, dass es in einer offenen Gesellschaft darum geht, nicht nur die eigene Meinung durchzuboxen, sondern Kompromisse zu finden, die ein Großteil der Menschen mittragen kann. Dass eine andere Meinung zu haben nicht zwangsläufig bedeutet, menschenfeindlich zu sein.
Eine offene Gesellschaft muss ertragen, dass Regelungen, die nicht nur eine, sondern in der Konsequenz mehrere gesellschaftliche Gruppen betreffen, diskutiert werden. Ich habe jedoch den Eindruck, dass das immer schwieriger wird, dass viele Menschen es kaum ertragen, wenn andere eine andere Meinung vertreten. Viele fühlen sich dadurch persönlich angegriffen, in ihren Gefühlen verletzt. Dabei ist das gar nicht der Sinn einer Diskussion oder sollte es zumindest nicht sein. Wenn sich die Menschen, die sich verletzt fühlen, klarmachen, dass in solchen Diskussionen die eigenen Gefühle zur Findung eines Konsenses zurückstehen müssen, wäre schon viel gewonnen. Solche Gefühle dürfen aufkommen, doch es muss möglich sein, sie eine Diskussion nicht bestimmen zu lassen. Ja, das ist verdammt schwierig, aber möglich. Beschimpfungen oder Schuldzuweisungen helfen dabei überhaupt nicht.
Respektlos von den Aktivisten, ihr Gender überall inkludiert haben zu wollen
Ich gewinne mittlerweile jedoch leider den Eindruck, dass dritte Lösungen, zum Beispiel Umkleidekabinen oder Sportveranstaltungen für Transpersonen, gar nicht gewollt sind, sondern viele Aktivisten ihr Gender, ihr gefühltes Geschlecht, validieren lassen wollen, indem sie überall inkludiert werden – unabhängig davon, ob andere das gut finden oder nicht. Vor allem aber unabhängig davon, ob sie nach wie vor über die körperlichen Merkmale des anderen Geschlechts verfügen. Das wiederum empfinde ich als respektlos den Angehörigen des Geschlechts gegenüber, dem sie sich zugehörig fühlen wollen.
Was mir auch missfällt: das Anspruchsdenken einiger, dass alle anderen sie in ihren Geschlechterrollen zu bestätigen haben. Wenn manche das nicht tun, sollte das doch für eine Person, die davon überzeugt ist, dass sie so ist, wie sie ist, zumindest kein größeres Problem darstellen, solange sie nicht angefeindet wird. Denn jeder Mensch wird von anderen verletzt, jeder Mensch wird nicht überall eingeschlossen, jeder Mensch hat diese Schwierigkeiten. Selbst wenn alle versuchen, respektvoll miteinander umzugehen, wird es diese Probleme geben. Die ideale Gesellschaft gibt es nun mal nicht. Das müssen wir alle lernen, wir alle müssen damit auf die ein oder andere Weise klarkommen. Wir sind alle manchmal Opfer, manchmal Täter. Ich bin der Ansicht, dass Erwachsene verstehen sollten, dass sie nicht in ihrem Existenzrecht bedroht sind, sollten andere eine andere Wahrnehmung von ihnen haben als sie von sich selbst.
Was schützt davor, sich gaslighten zu lassen? Harte Arbeit an sich selbst
Eva Engelken: Bei dir ist das offenbar nicht so, du beziehst klar Stellung. Was ist bei dir anders? Oder was hat bei dir bewirkt, dass du dich nicht mehr auf die Seite der Transaktivisten schlägst, sondern auf die Seite von Frauen, auch wenn du dadurch Gegenwind bekommst?
Simone Harland: Ich habe erlebt, wohin es führt, wenn jemand versucht, dir die eigene Wahrnehmung zu nehmen, um damit die Kontrolle über dich zu erlangen. Ich habe die gesamten Techniken des Gaslightings erlebt, die ganzen Manipulationstechniken aus dem Waffenarsenal von Narzissten, vor allem, wie sie sprachlich vorgehen. Ich wusste immer: Hier ist etwas falsch, konnte es anfangs jedoch nicht richtig benennen. Hätte ich mich nicht auf meine Wahrnehmung verlassen, dass hier etwas nicht stimmt, und wären da nicht Menschen gewesen, die mir spiegelten, dass ich nicht völlig falsch liege, weiß ich nicht, wo ich heute wäre.
Im Zuge dessen habe ich mich intensiv mit all diesen Techniken beschäftigt, vor allem auf sprachlicher Ebene. Und mir geschworen, dass ich nicht mehr schweige, kommt mir etwas nicht richtig vor bzw. wenn ich diese Methoden erkenne. Denn Sprache kann, sogar wenn sie zunächst vermeintlich freundlich daherkommt, sehr gewalttätig sein.
Eva Engelken: Du hast deine Haltung also durch den Umgang mit einem narzisstischen Menschen gewonnen?
Simone Harland: Wenn man das so will, ja. Allerdings ist es nicht das Verdienst dieser Person, sondern es war harte Arbeit an mir selbst. Dabei habe ich auch feststellen müssen, dass ich ebenfalls nicht davor gefeit bin, solche Manipulationstechniken anzuwenden. Die meisten von uns versuchen hin und wieder, andere dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen. Jedoch erfolgt die Manipulation in der Regel unbewusst und nicht, wie oft bei narzisstischen Menschen, mit Absicht.
Ich habe jedenfalls viel gelernt, etwa, mich nicht mehr (allein) durch meine Gefühle leiten zu lassen. Ich kann mich mittlerweile besser abgrenzen und annehmen, dass ich ohnehin nicht kontrollieren kann, was andere sagen oder tun. Ich kann zum Beispiel nicht verhindern, dass andere mich wegen meiner Meinung angreifen, statt in einen argumentativen Austausch zu treten. Meine „Wahrheit“ lasse ich mir dadurch jedoch nicht nehmen. Kommen Menschen damit nicht klar, dann passen wir vielleicht nicht zusammen. Das ist manchmal bitter, doch ich habe festgestellt, dass dann andere Menschen in mein Leben treten, die meine Werte teilen und es auch aushalten, unterschiedlicher Meinung zu sein. Denn durch Diskussionen mit Menschen, die anderer Meinung sind, lernt man meines Erachtens fast immer dazu. Gerade in einer Welt, in der die meisten Dinge viel zu komplex sind, um sie völlig zu durchdringen, finde ich das wichtig. Allerdings – und das ist die Voraussetzung – müssen solche Diskussionen respektvoll geführt werden. Klappt vielleicht nicht immer 100%ig, aber 75 % wären schon ein guter Schnitt.
Wie geht man mit Narzissten um? Kein Futter geben!
Eva Engelken: Welche Tipps gibst du Frauen im Umgang mit narzisstischen Männern?
Simone Harland: Nehmt die Beine in die Hand und rennt, wenn ihr sie erkennt. Weit, weit weg. Haben sie ein gewisses Alter überschritten, ändern sie sich nicht mehr. Da könnt ihr alles Mögliche versuchen, ihr habt keine Chance. Das gilt im Übrigen auch für Männer im Umgang mit narzisstischen Frauen.
Eva Engelken: Welche Fehler machen Frauen im Umgang mit einigen dieser Transaktivisten und ihren weiblichen Supporterinnen? Ich zum Beispiel lasse mich durchaus schon mal zu polemischen Bemerkungen hinreißen. Du rätst davon ab, warum?
Simone Harland: Es bringt dir nichts. Du gehst nur auf ihr Spiel ein, du zeigst Emotionen und gibst ihnen damit Aufmerksamkeit. Das ist genau das, was sie wollen. Auch negative Aufmerksamkeit ist narzisstische Zufuhr, ihr „Futter“. Gewinnen kannst du ohnehin nicht. Denn sie werden immer versuchen, die Oberhand zu behalten. Versuch‘, möglichst emotionslos zu agieren, benenne Fakten, bleib‘ sachlich, lass dich nicht in eine Verteidigungshaltung drängen. Oft enttarnen sie sich dann selbst. Wirst du polemisch oder lässt dich zu Angriffen hinreißen, bist ganz schnell du „die Böse“. Du bist jetzt die Person, die es zu bekämpfen gilt, und selbst vormalige Verbündete könnten dir in den Rücken fallen.
Eine weitere Möglichkeit ist es, auf die Sprache des Gegenübers einzugehen. Manipulative Menschen versuchen häufig, deine Worte zu verdrehen und stellen daraufhin Behauptungen über dich auf, die dich in schlechtem Licht dastehen lassen sollen. Sag klar und deutlich, jedoch ebenfalls möglichst emotionslos, dass es sich hierbei um eine Unterstellung handelt und die andere Person es unterlassen soll, falsche Behauptungen von sich zu geben.
Zieh dich aus der Diskussion raus, wenn du feststellst, sie bringt ohnehin nichts. Verschwende deine Aufmerksamkeit nicht länger.
Simone Harland
va Engelken: Derzeit erleben Frauen, die sich nicht von den Transaktivisten gaslighten lassen wollen, extreme Shitstorms, Mobbing und Bedrohungen. Die britische Philosophin Kathleen Stock schmiss im Herbst 2021 als Hochschulprofessorin das Handtuch, weil das Mobbing durch ihre Studenten sie und ihre Familie beeinträchtigte. J.K. Rowling musste miterleben, dass Transaktivisten ein Foto von sich vor ihrer Privatadresse ins Netz stellten, sie also doxxten. Ereignisse wie diese dürften viele Frauen abschrecken, sich gegen den aggressiven Mainstream zu stellen. Wie siehst du das?
Simone Harland: Ja, natürlich. So etwas macht Angst. Und kommt dann noch das Narrativ dazu, dass die anderen auf der vermeintlich guten Seite stehen und der Zweck in diesem Fall die Mittel heiligt, wird es noch schwieriger. Ich kann jede Frau verstehen, die nicht die Kraft hat, etwas zu sagen, selbst wenn sie anders denkt.
Eva Engelken: Und würdest du Frauen trotzdem Mut machen, für sich und ihre Rechte einzustehen? Auch um den Preis, angefeindet zu werden? Wenn ja, was spräche dafür?
„Jede Frau, die für ihre Rechte einsteht, tut auch etwas für andere Frauen“
Simone Harland: Ich finde, Frauen sollten unbedingt für ihre Rechte einstehen, denn niemand sonst wird es tun. Es ist übrigens völlig egal, ob das im privaten Rahmen passiert oder öffentlich. Jede Frau, die für sich einsteht, tut auch etwas für andere Frauen.
Ob sie öffentlich ihre Meinung sagen will, bleibt letztlich jeder Frau selbst überlassen. Doch ich möchte Mut dazu machen, denn jede Frau, die etwas sagt, ebnet dadurch den Weg für eine andere, die bislang still war. Außerdem kann sie gewiss sein: Sie ist nicht allein. Auf diese Weise entstehen neue Bekanntschaften, unter Umständen sogar Freundschaften.
Eva Engelken: Liebe Simone, von Herzen Dank für deine Erfahrungen, deine Analyse nd deine Ermutigung, für uns und damit für andere einzustehen!
Leandra
Ich finde auch, Frauen sollten unbedingt für ihre Rechte einstehen. Und Transfrauen auch. Vielleicht gibt es irgendwann mal was schlaues draus. So schwierig kann das eigentlich gar nicht sein…
engelkeneva
Liebe Leandra, I hope so too! Liebe Grüße, Eva
Antje Galuschka
Vielen Dank, Simone Harland 💜🤍💚
Wir alle, Frauen wie Männer, sollten uns auf unseren inneren Kompass verlassen. Er zeigt uns zuverlässig, wo etwas nicht stimmt. Und kommt Ihr an eine solche Stelle, fragt nach und gebt Euch nicht mit der erstbesten Antwort zufrieden! Es gibt übrigens nur eine richtige Antwort auf die Frage „Was ist eine Frau?“, nämlich „Eine Frau ist ein erwachsener Mensch weiblichen Geschlechts.“.
engelkeneva
Genau so ist es! Danke für deine klaren Worte, liebe Antje!
Anja
Hallo und vielen Dank für diesen Artikel, Eva Engelken und Simone Harland! Er macht Vieles so viel deutlicher. Das Ausmaß des Gaslightings, das insbesondere bei Frauen bereits „angeschlagen“ hat, scheint mir immens zu sein. Wenn ich im Freundinnen-, Bekanntinnen- und Kolleginnenkreis über dieses Thema diskutieren möchte, höre ich immer wieder: „Aber wir wollen doch niemanden diskriminieren“ oder „Jeder soll so leben dürfen, wie er (oder sie) möchte“. Das wir Frauen dann diejenigen sein werden, die das nicht mehr können, ist den meisten dabei in keinster Weise bewusst. Ich kann nur hoffe, dass genug Frauen und Männer rechtzeitig aufwachen, um dieses desaströse Gesetz zu verhindern.
engelkeneva
Vielen Dank, liebe Anja, für dieses Feedback! Ja, dieses weibliche Nettseinwollen um jeden Preis ist echt schädlich für Frauen!
Angelika Aliti
Vielen Dank für dieses Interview. Ich würde es sehr gern als link auf meine Rubrik „wilde Furien – Heiliger Zorn“ auf meine Webseite setzen und bitte hiermit um Erlaubnis. Herzliche Grüße
Angelika Aliti
http://www.angelikaaliti.at
EE
Sie können es gerne verlinken. Mit freundlichen Grüßen, EE
Sunny Fair
Na ja. wenn Transfrauen für das kämpfen, was manche Aktivisten für deren Rechte halten, nämlich bedigungslosen Zugang zu alken Frauenräumen, auch intimen, wird da nicht so schnell was Gescheires draus.. Transfrauen könnten aber eigene gute und fantasievolle Räume schaffen, in die sie dann Frauen einladen könnten. So entstünde respektvolle und interessante Begegnung.